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Volk und Wirtschaft

Unendliches Wachstum in einer begrenzten Welt - eine Langzeitblick

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlFreitag, 01.11.2024

Noah Smith diskutiert hier wieder ein sehr spannendes und kontroverses Thema: Wirtschaftswachstum. Als Technikoptimist hält er langfristig dieses Wachstum für die Grundlage einer guten Zukunft im Wohlstand.

Auf lange Sicht ist Wirtschaftswachstum alles. Das weltweite BIP ist seit 1820 um etwa 2,68 % gewachsen. Wäre es stattdessen nur um 1,68 % gewachsen - nur ein Prozentpunkt weniger -, wäre die Menschheit nur 37 % so reich wie jetzt, mit einem Pro-Kopf-BIP von etwa 6145 Dollar statt 16.677 Dollar. Wie Tyler Cowen in seinem Buch Stubborn Attachments schreibt, bedeutet dies, dass man, wenn man eine Politik finden kann, die das langfristige Wachstum erhöht, dies tun sollte. Der enorme Unterschied im Lebensstandard, den unsere Nachkommen erleben werden, wiegt die kleinen Opfer, die wir heute bringen, auf. 

Natürlich müsste dieses Wachstum die Erhaltung der natürlichen Umwelt gewährleisten. Ist dies möglich? Grundsätzlich ja, meint Smith und damit ist er nicht allein. Er belegt dies auch mit Statistiken, nach denen sich das Wirtschaftswachstum in vielen wohlhabenden Nationen von der Nutzung knapper Ressourcen, insbesondere bei den Kohlendioxyd-Emissionen, abgekoppelt hat. Sei es durch mehr Forschungsausgaben und Innovation, Deregulierung, Industriepolitik, Rahmenbedingungen oder Zielvorgaben.

Er widerlegt ebenfalls das Argument, dass man in einer endlichen Umwelt kein unendliches Wachstum haben könne. Man vergleiche hier zwei qualitativ unterschiedliche Wachstumsbegriffe. 
Wirtschaftswachstum, so wie Ökonomen den Begriff verwenden - und so wie er in den offiziellen BIP-Statistiken definiert ist -, bedeutet eigentlich nicht Wachstum des Ressourcenverbrauchs. Wirtschaftswachstum bedeutet Wachstum des Wertes dessen, was wir produzieren. Der Ressourcenverbrauch ist objektiv, der wirtschaftliche Wert ist subjektiv. ….. Und es gibt keine theoretische Grenze dafür, wie viel Wert wir durch die Neuanordnung der Ressourcen unseres endlichen Planeten produzieren können.

Zumindest ist Wirtschaftswachstum eben nicht gleich dem Wachstum im Verbrauch materieller Ressourcen - man vergleicht da "Äpfel mit Birnen".

Das ist die optimistischere Seite des Artikels, Ressourcenbeschränkungen spielen vielleicht keine Rolle. Es folgt die beunruhigendere Zukunftsprojektion. Smith schildert die Analyseergebnisse der Forschungen von Charles I. Jones, etwa in dem Paper: Das Ende des Wirtschaftswachstums? Unbeabsichtigte Folgen eines Bevölkerungsrückgangs. Die lauten wie folgt

In vielen (ökonomischen Th.W.) Modellen wird das Wirtschaftswachstum dadurch angetrieben, dass die Menschen neue Ideen verwirklichen. Diese Modelle gehen in der Regel von einer konstanten oder wachsenden Bevölkerung aus. In Ländern mit hohem Einkommen liegt die Fruchtbarkeit jedoch bereits heute unter der Ersatzrate: Frauen bekommen im Durchschnitt weniger als zwei Kinder. Es ist durchaus möglich, dass die Weltbevölkerung auf lange Sicht eher schrumpft als sich stabilisiert. In Standardmodellen hat dies tief greifende Auswirkungen: Statt eines fortgesetzten exponentiellen Wachstums stagniert dann der Lebensstandard bei einer sinkenden Bevölkerungszahl.

Es könnte, so Smith, also langfristig gar nicht, wie immer wieder befürchtet, um die limitierten natürlichen Ressourcen gehen, sondern um die Knappheit von Ideen. Die vergangenen industriellen Revolutionen und damit unser Wohlstand basierten darauf, dass ein zunehmender Anteil an Geld und menschlicher Intelligenz in den Forschungssektor flossen und dann Innovationen ermöglichten. Smith zitiert Analysen, wonach die Zahl der in der Forschung tätigen Personen in den USA seit den 1930er Jahren um das 23-fache gestiegen ist, während die Wachstumsrate der Gesamtfaktorproduktivität gleich geblieben oder gesunken ist. Es scheint also immer aufwendiger zu werden, bahnbrechende Erfindungen zu generieren. Wenn nun zukünftig die Bevölkerungen in der Welt schrumpfen, heißt das wahrscheinlich auch, es wird weniger Forscher und damit weniger Innovationen geben. 
Aufgrund all dieser Faktoren und des sich verlangsamenden Bevölkerungswachstums prognostiziert Jones einen Rückgang des Wachstums. Und tatsächlich scheint das Wachstum in den USA im 21. Jahrhundert ein wenig langsamer zu sein als im 20.: …… Der Gegenwind beginnt möglicherweise bereits zu wirken. Wenn das stimmt, wird das Wachstum nicht erst in 1000 Jahren auf ein niedriges Niveau sinken, sondern schon sehr bald, vielleicht noch in diesem Jahrhundert.
Technikoptimisten wären keine Optimisten, wenn sie nicht wenigstens ein Licht am Horizont sehen würden. Für Jones und Smith ist es die künstliche Intelligenz:
Wenn es uns gelingt, eine KI zu schaffen, die selbstständig forscht, könnten wir als Zivilisation die Fluchtgeschwindigkeit erreichen und von flachen oder sinkenden Wachstumsraten zu steigenden Wachstumsraten übergehen - im Grunde eine technologische Singularität, zumindest bis die KI aufhört, besser zu werden oder ihr die Dinge ausgehen, die sie entdecken kann.

Einigen Gesellschafts- oder Technikpessimisten werden sich angesichts solcher Szenarien die Haare sträuben. Aber wir müssen uns klarmachen, Wachstum und Wohlstand sind weder Gott gegeben noch sonst wie garantiert. Und schrumpfendes Wachstum ist nicht der Weg ins Paradies. Auch wenn das wohl manche anders sehen und sich über weniger Innovation und Wachstum freuen würden?


Unendliches Wachstum in einer begrenzten Welt - eine Langzeitblick

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Kommentare 4
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor einem Monat

    Das Zitat – im Original kann ich es leider nicht einsehen:
    „Wirtschaftswachstum, so wie Ökonomen den Begriff verwenden - und so wie er in den offiziellen BIP-Statistiken definiert ist -, bedeutet eigentlich nicht Wachstum des Ressourcenverbrauchs. Wirtschaftswachstum bedeutet Wachstum des Wertes dessen, was wir produzieren.“
    Es kann in einem Fall zutreffen, im anderen total in die Irre führen.

    Bei der BIP-Berechnung werden die sog. Vorleistungen vom Wert der produzierten Waren und Dienstleistungen subtrahiert. D. h. die verbrauchten Rohstoffe, Materialien und in Anspruch genommene Dienstleistungen Dritter sind kein BIP-Bestandteil.

    Bei Produkten der Erdölraffinerie bspw. ist der Wert importierten Rohöls nicht enthalten.
    Anders verhält es sich, wenn WIR die Güter nicht produzieren, sondern der Natur entnehmen: Förderung fossiler Brennstoffe, Erzbergbau, Fischfang, Abholzung der Regenwälder usw.
    Der Wert der entnommenen Ressourcen ist dann ganz automatisch BIP-Bestandteil.

    Insoweit erschließt es sich mir auch nicht, was Noah Smith ausdrücken will, wenn er sagt, der Ressourcenverbrauch sei objektiv, der wirtschaftliche Wert subjektiv.

    In diesem Kontext wären Aussagen zur Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch kritisch zu hinterfragen: Fällt das etwa rohstoffreichen Ländern leichter, da sie die Ressourcen fördern und exportieren, ihren Verbrauch Anderen überlassen?

    Zum Verständnis, was dies für die methodische Weiterentwicklung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bedeutet, empfehle ich diese Picks (Stichwort: Grünes BIP): https://forum.eu/volks...

    https://forum.eu/funds...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat

      Ja, das Wort "subjektiv" fand ich in diesem Zusammenhang auch nicht so treffend. Er meint damit wohl, das der gemessene Wert kein materieller Gegenstand ist. Im Sinne von materiellen Ressourcen, die man der Natur entnimmt und "verbraucht". Der Begriff "Subjektiv" ist ja schwierig zu fassen: "Subjektivität (lateinisch für Unterworfenheit) ist in der europäischen Philosophie diejenige Eigenschaft, die ein Subjekt von einem Gegenstand unterscheidet. Wie diese Eigenschaft genauer zu fassen ist, ist in Philosophie und Wissenschaft seit Beginn der Antike umstritten." https://de.wikipedia.o...

  2. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor einem Monat

    Interessant, habe vor einiger Zeit einen Blog-Post geschrieben, der in die gleiche Richtung zielt:
    https://anmerkungen.wo....
    tldr: Zwischen BNP-Wachstum und Ressourcen steht die "gesellschaftliche Preisliste" für alle Produkte und Dienstleistungen, die den subjektiven Wert der Leute ausdrückt. Die Preise sind natürlich Preisverteilungskurven, was aber am Prinzip nichts ändert.
    D.h. aber, dass wir daran arbeiten sollten, dass emissionsarme Produkte und Dienstleistungen auch subjektiv höher bewertet werden.
    Im Übrigen bin ich für ein modifiziertes BNP, in dem z.B. Wertverluste durch Katastrophen mit in der Bilanz stehen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat

      Ich glaube nicht, dass die Produkt und Dienstleistungen den subjektiven Wert oder das "Wertempfinden" der Leute ausdrückt, als irgendwas Gefühltes? Das BIP besteht ja auf der Verteilungsseite der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zum größten Teil aus den Arbeits - und Vermögenseinkommen (plus Produktionsabgaben und Abschreibungen). Dabei geht es doch auch nicht um irgendein Einkommensempfinden oder eine -Illusion. Sondern in Summe um ganz konkrete Kosten/Ausgaben. Die Hoffnung, dass der Großteil der Bürger bereit ist, von seinen begrenzten Einkommen teurere Produkte und Dienste zu erstehen, für das vage Versprechen, dass dies ökologisch besser sei, halte ich für überhöht. Wir müssen schon einen Weg finden ökologisch gute Produkte preiswert zu machen. Nur scheint mir das etwas aus dem Blick gekommen zu sein. Bisher läuft die Klima-/Energiewende m.E. eher nach dem Motto - koste es was es wolle.

      Ich bin mir gar nicht sicher, ob etwa Wertverluste über Abschreibungen und Versicherungsleistungen zumindest teilweise im BIP enthalten sind?

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