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Europa

Russland auf Kriegskurs?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 07.01.2022
Zum Jahresende 2021 veröffentlichte das russische Außenministerium zwei Vertragsentwürfe. Zum einen ein "Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation über Sicherheitsgarantien" zum anderen ein "Abkommen über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Russischen Föderation und der Mitgliedstaaten der Organisation des Nordatlantikvertrags [NATO]". Moskau will damit, „rechtliche Sicherheitsgarantien von den Vereinigten Staaten und der NATO“ erhalten und fordert die USA und ihre NATO-Verbündeten auf, den russischen Forderungen unverzüglich nachzukommen. Was mich erschreckt ist einerseits der Ton und andererseits die expliziten militärischen Drohungen. Wenn man sich die Worte auch in den russischen Medien auf der Zunge zergehen lässt, verschlägt es einem den Atem. 
If the West does not accept the Russian ultimatum, they will have to face “a military and technical alternative”, according to Deputy Foreign Minister Alexander Grushko: “The Europeans must also think about whether they want to avoid making their continent the scene of a military confrontation. They have a choice. Either they take seriously what is put on the table, or they face a military-technical alternative.” After the publication of the draft treaty, the possibility of a pre-emptive strike against NATO targets (similar to those that Israel inflicted on Iran), was confirmed by former Deputy Minister of Defense Andrei Kartapolov (Duma Defense Committee): “Our partners must understand that the longer they drag out the examination of our proposals and the adoption of real measures to create these guarantees, the greater the likelihood that they will suffer a pre-emptive strike.”
Flankierend dazu feuerte Russland am 24. Dezember einen Salve von Zirkon-Überschallraketen ab, die der Kremlsprecher Dmitri Peskow wie folgt kommentierte: „Nun, ich hoffe, dass damit die Notizen [vom 17. Dezember] überzeugender sein werden“. Der Publizist Vladimir Mozhegov ergänzte das so:
„What are our arguments? First and foremost, of course, our most reliable allies — the army and the navy. To be more precise, the hypersonic Zircon missile (the “carrier killer”, as it is affectionately called in the West), which makes it absurd for the United States to have a fleet of aircraft carriers. The impact of the Zircon cracks a destroyer like a nut. Several Zircons will inevitably sink an aircraft carrier. The Zircon simply does its job: it methodically shoots huge, clumsy aircraft carriers like a gun at cans.“
Und er zitiert einen amerikanischen General, der bestätigt "Wir haben keinen Schutz, der solchen Waffen widerstehen kann" und innerhalb von 10-15 Jahren würde ein solcher Schutz wahrscheinlich auch nicht möglich sein. Für Mozhegov (womit er sicher nicht allein dasteht) ist klar: Für Russland gelten keine der früheren Waffenverträge mit der NATO und den Vereinigten Staaten mehr. Und ich vermute mal, das gilt auch für die Ukraine und andere ehemalige Sowjetrepubliken. Man kann also sagen, in dem Moment, an dem sich Russland militärisch überlegen fühlt, gelten frühere Abkommen nicht mehr und der Rest der Welt wird aufgefordert, neue nicht verhandelbare Verträge abzuschließen, die zu seiner weiteren militärischen Schwächung führen. Und für die es seitens Russlands natürlich naturgemäß keine Garantien gibt. Ein militärischer Erstschlag ist ja, wie klargestellt wurde, möglich, bleibt es auch weiterhin. Oder um es mit einem Witz aus der Zeit des Kalten Krieges zu sagen: "Was uns gehört, gehört uns, was dir gehört, ist verhandelbar".

Was bewegt Putin & Co. zu dieser bedrohlichen Strategie? Ich vermute nicht, das er wirklich einen großen Krieg will, ihn aber auf niedrigerem Level auch nicht ausschließt. Die Erfahrung aus den vergangenen Jahren zeigen ihm, das die wirtschaftlichen und politischen Folgen beherrschbar sind. Seine Analyse könnte wie folgt aussehen:
After 20 years of preparation for war, the Russian position is considered to be stronger than ever, according to the Russtrat think tank: “In the next year and a half, Russia will considerably change the balance of global power. […] Russia’s current historical situation is unique. The state has prepared itself for the major challenges that may arise under critical pressure. Huge reserves have been accumulated, including gold. National financial and information infrastructure plans have been created and launched. Digitization has begun to encompass the entire economy, bringing it to a new level of competitiveness. The expansion of our own industrial base, including in highly sensitive high-tech areas, is proceeding in leaps and bounds, the ‘technology gap’ is closing. We have overcome critical dependence in the area of food security. […] For the past five years, the army has been the world’s leader. In this area, the ‘technological gap’ is in our favor and is only widening… Moreover, the explosion of planetary inflation is causing an energy crisis, which makes the Europeans, for the most part, much more accommodating and rules out a blockade of our energy supplies, WHATEVER WE DO.” 
Dazu kommt als Ass im Ärmel die Abstimmung mit China:
If Russia and China coordinate their actions against Ukraine and Taiwan respectively, “everything will become much easier for us. And for China too, from which we will divert attention, which will free our hands even more…” In short, “Russia has restored its weight in the international arena to the point that it is able to dictate its own terms in the shaping of international security.” As for “the decrepit empire of the Stars and Stripes, weakened by LGBT, BLM, etc., it is clear that it will not survive a two-front war.”
Also der Westen und insbesondere die USA sind in einer beispiellosen Krise, unfähig zu kraftvollen Aktionen. Daher diese strategische russische Initiative – nicht als Diskussionsvorschlag sondern als Ultimatum. Von dem Russland wohl hofft, dass es auch ohne militärischen Konflikt angenommen wird?
The West has no choice but to lose face — unless it stands proudly and goes to war with Russia. Judging by the way the West has begun to show disarray on the other side, they are well aware of this.
Aber selbst das Risiko eines Atomkrieges wird zumindest erwogen. Falls die konventionellen Mittel nicht reichen:
“we can solve the problem of neutralizing Europe and the United States only by physically eliminating them with our nuclear potential… The US and Europe will physically disappear. There will be almost no survivors. But we too will be destroyed. Unless the fate of Russia is better, because we have a large territory. Our opponents will not be able to destroy everything with nuclear strikes. Therefore, the percentage of the surviving population will be higher. However, Russia as a state may disappear after a large-scale nuclear war. It may fragment.”
Was kann, was sollte der Westen tun? Erst einmal sollte klar sein, wenn Moskau von „Sicherheit“ spricht, meint es „russische Herrschaft“ und  die Wiederauferstehung des russisch-sowjetischen Imperiums. Wobei natürlich wirtschaftlich florierende und demokratische ehemalige Sowjetrepubliken mehr als nur ein Störfaktor sind. Der Funke könnte überspringen und das ganze autoritäre und imperiale Konzept (zer)stören. Also sollte der Westen keinesfalls nachgeben – ohne dabei aufzutrumpfen. Eine schwierige Balance.

Russland auf Kriegskurs?

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Kommentare 3
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

    Kurze Ergänzung:

    "Das ist in den Präambeln beider Vertragsentwürfe auch daran zu erkennen, welches Dokument in der langen Liste internationaler Vereinbarungen fehlt, auf die sich die neuen Abkommen stützen sollen: die Charta von Paris von 1990. In ihr haben die Unterzeichner, darunter die Sowjetunion, das Ende des Kalten Krieges in Europa verkündet, sich auf Demokratie und Menschenrechte verpflichtet und versprochen, sich „jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt (...) zu enthalten.“

    Die Charta basiert auf der Gleichheit aller teilnehmenden Staaten. Von besonderer Bedeutung ist dabei das ausdrückliche Bekenntnis „zum Recht der Staaten, ihre sicherheitspolitischen Dispositionen frei zu treffen“. Das entzieht der von der russischen Führung verbreiteten Legende den Boden, die NATO habe ein Versprechen gebrochen, sich nie nach Osten zu erweitern. Vielmehr hat die Sowjetunion, deren Rechtsnachfolger Russland ist, sich ausdrücklich zum Recht aller Staaten bekannt, sich ihre Bündnisse selbst zu wählen.

    Das Fehlen der Charta von Paris hat vor allem symbolische Bedeutung. Denn die russischen Vertragsentwürfe sind auch mit Dokumenten unvereinbar, auf die Moskau sich in den Präambeln beruft. Offensichtlich ist das am Beispiel der Europäischen Sicherheitscharta, die 1999 auf dem Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beschlossen wurde. Die russische Führung wirft dem Westen vor, mit der NATO-Erweiterung nach Osten gegen das in Artikel 8 der Charta festgelegte Verbot zu verstoßen, die eigene Sicherheit auf Kosten anderer Staaten zu festigen. Im selben Artikel wird freilich auch das Recht aller OSZE-Staaten bekräftigt, „Sicherheitsvereinbarungen einschließlich von Bündnisverträgen frei zu wählen“ – also genau das, was die russische Führung der Ukraine, Georgien und anderen ausdrücklich abspricht."
    https://www.faz.net/ak...

  2. Horst Schumacher
    Horst Schumacher · vor fast 3 Jahre

    Was ist das für eine kriegstreiberische Retorik des Verfassers dieses fürchterlichen Artikels!
    Es wird die Vorgeschichte und die damit verbundenen Aktivitäten des Westens (hauptsächlich von der NATO und den USA) dabei vollkommen ausgeblendet. Ich empfehle dringend, sich auf YouTube den Vortrag der ehemaligen ARD-Korrespondentin Frau Gabriele Krone-Schmalz einmal sehr aufmerksam anzuhören!

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

      Ich fand eher die kriegstreiberische Rethorik der russischen Politik und der russischen Medien gefährlich. Gerade vor dem Hintergrund der russischen militärischen Abenteuer und Aggressionen der jüngeren Zeit. Eine solche Rethorik habe ich auf der NATO-Seite sehr lange nicht gehört. Das eine Atommacht mit großer konventioneller Armee Angst vor der NATO in ihrem Zustand nach 1989 hat, das ist ein Märchen. Ich empfehle mal mit Ukrainern, Balten und Polen zu reden. Frau Krone-Schmalz sieht das bekanntlich anders. Was aber im Osten Europas keinen beruhigt.

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