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Europa

Russland aus ukrainischer Sicht – eine Gefahr

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 02.01.2021

Richard Herziger interviewt den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, der an der schwierigen Schnittstelle zwischen dem Osten und Westen Europas agiert. Die Ansichten sind entsprechend drastischer als hierzulande und nicht ohne Grund ist die Beziehung zu Russland unter Putin ein Schwerpunkt. Somit auch die Ergründung der wahren Absichten des Kremls. 

Nach allem, was seitdem (seit der Annexion der Krim; Th. W.) geschehen ist, sollten jedem die Ziele Russlands endgültig klar sein: Es will territorial expandieren und die westlichen Demokratien unterminieren. Daraus folgt Voraussetzung zwei: Entschlossenheit zum Handeln. Niemand im Westen sollte mehr wegsehen oder zögern, wenn ein Land zum Opfer russischer Aggression wird, in der trügerischen Hoffnung, einem selbst könne das nicht zustoßen. Womit wir bei Voraussetzung drei wären: der Prävention. Der Westen sollte deutlich mehr Ressourcen in die Abschreckung des Kreml von weiteren aggressiven Schritten stecken. 

Der Westen erscheint aus ukrainischer Sicht zur Zeit als unfähig, die neoimperialen Gelüste Russlands einzudämmen. Aktuell geben die Prozesse in Weißrussland zusätzlich Anlass zur Besorgnis. Belarus im Griff Moskaus würde die Bedrohung der Ukraine extrem erhöhen:

Unser Land wäre zur Hälfte von Russland militärisch eingekreist. Russische Truppen stünden in Belarus, auf der annektierten Krim und im okkupierten Donbass ebenso wie in Transnistrien, wo Moskau ebenfalls Soldaten stationiert. Ein weiteres Problem ist, was geschieht, sollte sich Russland wichtiger Sektoren der belarussischen Wirtschaft bemächtigen, namentlich der Rüstungsindustrie. Denn die Ukraine unterhält intensive Handelsbeziehungen mit Belarus und kooperiert auch im Sicherheits- und Verteidigungsbereich eng mit dem Nachbarland.

Auch wenn der Preis für mehr Prävention hoch sein mag – der Preis des Nichtstuns wäre wahrscheinlich höher. Autoritäre Herausforderungen gehen für Demokratien ja nicht nur von Russland aus:

Das ist eine komplizierte Aufgabe, denn die Freiheit der Rede gehört ja zu den Grundpfeilern der demokratischen Ordnung. Es ist paradox, aber in der Epoche der sozialen Medien gibt es Kräfte, die gelernt haben, diese demokratische Freiheit zu benutzen, um sie zu ruinieren – vor allem durch die Verbreitung von Desinformation. Die größte Herausforderung für die Demokratie ist heute, die Meinungsfreiheit zu schützen, aus ihr wieder eine Stütze statt eine Gefahr zu machen. 

Ein globaler Gipfel, um das Bewusstsein für dieses Problem zu heben, scheint mir dazu etwas zu wenig. 

Kuleba verweist dann auf das Problem, wonach Gesellschaften letztendlich für ihre inneren Angelegenheiten auch selbst verantwortlich sind. Er meint, die belarussische Gesellschaft habe es dem System Lukaschenkos zu lange gestattet, ihr Land zu dominieren. Und sie muss nun entscheiden, "was es ihr wert ist, das zu ändern." Sicher ein schwieriger Widerspruch zwischen der Autonomie von Staaten und der Verantwortung der anderen Nationen für die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt. Realpolitisch zeigt sich das Dilemma dann (nicht nur) aus ukrainischer Sicht wohl so:

Was Frankreich, Deutschland, die USA und andere westliche Staaten zu unserer Unterstützung gegen die russische Aggression tun, hilft uns sehr. Was sie nicht tun, nämlich dem Kreml deutlichere Grenzen zu setzen, würde uns noch viel mehr helfen. Die dauernde Suche nach Möglichkeiten einer „Normalisierung“ der Beziehungen zu Russland ermutigt Putin nur in seinem Expansionskurs. Denn er will keine Normalität. Als Macron, dessen Engagement für ein stärkeres Europa ich sehr schätze, zu einer Annäherung an Russland aufrief, antwortete der Kreml mit dem Giftanschlag auf Alexej Nawalny

Wenn denn die Einschätzung bezüglich des Kreml so stimmt. Eine der vielen "Zwickmühlen", vor die "wir" beim Erkennen der Welt und dem entsprechenden Handeln gestellt sind. Im Grunde bedeutet das, in der wirklichen Welt gibt es keine idealen Lösungen. Aber bessere und schlechtere – darum gilt es zu streiten.

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