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Plötzlich wieder "wir und ihr" – eine Enkelin von Holocaust-Überlebenden über den Anschlag in Halle

Hauke Friederichs
Journalist und Autor
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Hauke FriederichsFreitag, 25.10.2019

Gleich nachdem sie vom Anschlag in Halle auf die Synagoge erfahren hat, rief Naomi Bader bei ihrem Großvater an. Nach solchen rechtsextremen Anschlägen macht die junge Journalistin das immer. Sie will die alten Leute vorwarnen, ihnen beistehen. Und dafür gibt es einen guten Grund: Sie haben als jüdische Deutsche das sogenannte "Dritte Reich" und den Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden überlebt. 

Ihr Großvater hat den Aufstieg der Nationalsozialisten als kleiner Junge in Köln verfolgt, er hat den Holocaust versteckt in Belgien überstanden. Zunächst hat er bei einer Pflegemutter in Kapellen gelebt und später in einem Kinderheim bei Brüssel. Viele Verwandte aber entkamen den Nationalsozialisten nicht. Zwei seiner Brüder und seine Eltern wurden deportiert und ermordet. Nach dem Krieg hat Naomi Baders Großvater in Deutschland, Belgien, Israel und Frankreich gelebt.

"Jedes Mal mache ich mir Sorgen, dass Nachrichten über antisemitische Anschläge sie aufwühlen könnten", schreibt sie. "Ich möchte diejenige sein, die es ihnen erzählt." 

Aber am Tag des Attentats weiß ihr Großvater bereits Bescheid über den Anschlag in Halle. Als Naomi Bader in am Telefon erreicht, laufen die Fernsehnachrichten bereits, sie hört im Hintergrund die Stimme eines Moderators.

"'Wie geht es dir?', frage ich. 'Wie soll es mir schon gehen?', antwortet er. 'Das ist nichts Neues, das hat es immer schon gegeben. Und wird es weiterhin geben, morgen vielleicht in Holland, übermorgen wieder woanders. Damit muss man leben.'"

Ihre Großmutter sagt der Journalistin, dass sie verstehen könne, wenn die Enkelin auswandern wolle. Bader hat die Sicherheitsvorkehrungen für das jüdische Altenheim ihrer Großeltern oder für die Synagoge immer für übertrieben gehalten – jetzt sieht sie das anders.

"Kein Angriff auf Juden oder jüdische Einrichtungen hat mich bisher so schockiert", schreibt Bader. "Es hätte ein Massaker gegeben, wäre der Mann in die Synagoge gelangt, hätten seine Waffen funktioniert."

Nach Halle gibt es für sie eine Unterscheidung in "wir" und "ihr". Sie fühle sich plötzlich unsicher in Deutschland. 

"Ich frage mich, ob meine Familie hier langfristig leben kann", schreibt Naomi Bader. "Für mich verschwimmt gerade alles zu einem großen bedrohlichen Ihr."

Der Text endet nicht mit diesem bitteren Zitat, das Rechtsextremen sicherlich Freude bereiten würde. Deutschland "judenfrei" zu bekommen, das war der perverse Traum der Nationalsozialisten und anderer Antisemiten. 

Bader unterscheidet ihre Version des "Wir-ihr-Denkens" klar von der rechtsextremen Gedankenwelt:

"Die neuen, alten Rechten bestimmen ihr Wir anhand feststehender Merkmale, die der Einzelne nicht verändern kann: Herkunft, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung. Unser Wir beruht ganz allein auf dem Verhalten eines jeden Einzelnen. Wenn dieses große anklagende Ihr provozierend wirkt, dann sage ich euch: Ich verstehe das. Aber ihr seid alle eingeladen, Teil dieses Wir zu werden. Bringt nur etwas Haltung mit."

Plötzlich wieder "wir und ihr" – eine Enkelin von Holocaust-Überlebenden über den Anschlag in Halle

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