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Technologie und Gesellschaft

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Felix Schwenzel
Internetadept

Ich schreibe seit 1995 gern ins Internet.

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Felix SchwenzelFreitag, 27.09.2019

Es gibt wenige Konservative, die sich noch die Mühe machen, ihre Überzeugungen mit Argumenten und logischen Schlussfolgerungen zu belegen, statt ihre Argumente lediglich mit Überzeugungen oder Populismen zu begründen. Thomas Schmid ist deshalb einer der wenigen Konservativen, die ich gerne lese, auch wenn mir mein Browser rät, seinen Blog nicht zu lesen („Nicht sicher“).

Was Thomas Schmid zum Beispiel am 3. September über Greta Thunberg (und Rudi Dutschke) schrieb, fand ich zum großen Teil noch nachvollziehbar, auch wenn mich ein Denkfehler, den Schmid in diesem, aktuelleren, viel polemischeren Text noch mal ausbaut, zum Widerspruch reizte. Im älteren Text lässt Schmid der Fridays for Future (#FfF) Bewegung noch die politische Legitimität durch den Soziologen Armin Nassehi absprechen: Die Kunst der Politik bestehe darin, zitiert er, Lösungen mit den Mitteln dieser Gesellschaft zu finden — und auf diese „verwickelte Kunst“ ließe sich die #FfF-Bewegung noch nicht ein. Mit Schmids Geduld ist es schon am 25. September vorbei, als er #FfF nicht nur implizit eine zu große Radikalität vorwirft, sondern ihr quasi die Basis entzieht:

Mit ihrer wütenden Tränenrede vor den Vereinten Nationen in New York hat Greta Thunberg aber eindeutiger als zuvor verdeutlicht, dass ihr rastloses Engagement mit Politik nichts zu tun hat. Demokratische Politik ist immer fehlbar, sie schreitet im Zick-zack-Gang, im Korrekturmodus voran. Dafür hat die Schwedin, die sich im Besitz der einzigen Wahrheit fühlt, keine Spur von Verständnis, auch kein Gespür.

Wessen politische Forderungen eine (demokratische) Gesellschaft überfordern, der hat im demokratischen, politischen Diskurs nichts zu suchen. 

Bei anderen Bewegungen war Schmid da sehr viel offener und sah das ganz anders. Voller Bewunderung schreibt er zum Beispiel (zu Recht) über Rosa Parks, die sich als schwarze Frau eines Tages einfach weigerte, einen Sitzplatz in einem Bus für ein paar zugestiegene Weiße zu räumen und damit „unter wesentlicher Mithilfe des damals noch weithin unbekannten Martin Luther King“ einen Boykott des Busverkehrs zustande brachte, „den die Schwarzen von Montgomery etwa ein ganzes Jahr lang durchhielten.“

An Nelson Mandela bewunderte er, dass er Südafrika „einzig und allein mit seiner Haltung“ veränderte, obwohl weder Mandela noch Parks noch King sich an Armin Nassehis klugen Ratschlag hielten und ihre Forderungen vorher auf Umsetzbarkeit und Zumutbarkeit in ihren jeweiligen Gesellschaften abklopften. 

Schmid ist nicht zu dumm zu erkennen, dass auch demokratische Gesellschaften, demokratische Zick-Zack-Abläufe, hin und wieder radikale Impulse benötigen, aber weil er das, wahrscheinlich aus Gründen der polemischen Ästhetik, im hier gepiqten Text unerwähnt lässt, hole ich kurz aus, um genau diese Auslassung aufzufüllen.

Ich habe in meinem Leben schon einige (vermeintliche) beinahe-Katastrophen miterlebt: Waldsterben, Ozonloch, atomares Wettrüsten, islamistischen Terror.

Die meisten dieser Bedrohungen konnten im Laufe der letzten Jahre abgeschwächt werden oder verloren zumindest an Brisanz. Nur hat sich keines dieser Probleme dadurch gelöst, dass wir der Politik ihren Zick-Zack-Lauf ließen oder auf freiwillige Regelungen setzten — ihnen allen wurde von auf massiven Außendruck folgendem politischen Handeln die Brisanz genommen. Niemand hat freiwillig seine Rauchgase entschwefelt oder Katalysatoren eingebaut, niemand hat freiwillig auf FCKW-Gase bei der Kühlschrankproduktion verzichtet. Nicht „Marktwirtschaft und Innovation statt Ge- und Verbote“ (FDP) haben das Ozonloch geschlossen oder das Waldsterben gebremst, es waren Vorschriften und Verbote, mit der die Politik auf unbequeme Impulse aus Wissenschaft, Forschung und Straße reagierte. 

Die teils überspitzten, radikalen, wütenden Proteste auf den Straßen, aus der linken, „grün-versifften“, „politischen ABC-Schützen“ Ecke waren nötig, um die Politik überhaupt zum Handeln zu bringen.

Es gibt übrigens mindestens zwei Arten von Wandel, gegen den kluge Konservative wie Schmid, im Einklang mit den nicht so klugen Konservativen, Autorechtlern oder Schnitzelrechtlern gar nicht aufbegehren: wenn es um die Gefahren linken oder islamistischen Terrors geht, verbalisieren sie keinerlei Probleme mit einem Wandel zu mehr Überwachung, Vorratsdatenspeicherung oder beinahe schrankenloser Befugniserweiterung von Polizei und Geheimdiensten. 

Ebenso gerne scheißen gerade rechtskonservative Intellektuelle unter dem Dach des Springer-Verlags auf die Freiheiten der Netzkultur, auf ein Recht auf Remixe, Fair-Use-Regelungen oder Panoramafreiheit. Da ist keine der Forderungen der Verlagslobby-Prediger Keese und Döpfner zu radikal, da erkennt Schmid plötzlich kein „mangelndes Gespür für Gesellschaft“ wie bei der #FfF-Bewegung. Dass die Interessenvertreter seines Verlags ins Innerste der Demokratischen Öffentlichkeit vorgedrungen sind und Debatten erstickt haben — da schweigt Schmid — aber zu dieser Greta muss MAN DOCH MAL WAS SAGEN DÜRFEN!

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Kommentare 5
  1. Fritz Iversen
    Fritz Iversen · vor 5 Jahren

    Sehr interesssanter Piqd. Das Thema scheint mir allerdings weniger Gretas radikale Emotion zu sein ("Es zeugt von Bosheit, sie als unreife Göre, als pathologische Fanatikerin abzutun", schreibt Schmid), als vielmehr das, was Schmid wohl für die eigentliche Bewegungsforderung hält, nämlich eine Art Notstopp der modernen Industriegesellschaften und damit eine Art Fortschrittsstopp ("Im Grunde verwirft die schwedische Predigerin das gesamte Universum der westlichen Welt").
    Dem widerspricht Schmid: "Denn wie anders als mit technischen Lösungen, wie anders als mit Erfindergeist kann dem Klimawandel begegnet werden? ... Die Wunden ... können nur mit mehr, mit besserer Technik geheilt werden. Es gibt keine Alternative zum Fortschritt." In diesem Sinne dann auch am Ende das Lob, das für Merkel abfällt.
    Schmid - und nicht nur er - beschreiben damit etwas, was man "Gretismus" nennen würde, was es aber mEn gar nicht wirklich gibt. Mir scheint das ein Misverstehen dessen, was da vorgeht. Die Bewegung ist tatsächlich, wie du, Felix Schwenzel schreibst, im Ursprung klassisch appellativ. Sie erzeugt Druck (das ist der Kern aller politischen Dynamik, Druck und Gegendruck) auf sämtliche real handelnden Personen ("Erwachsene") - Vorstände, Politiker, Fahrzeugentwickler, Stadtplaner, Tourismus-Großkonsumenten etc. Dass dieser Handlungsdruck ein Sturm auf die Maschinen sei, sehe ich gar nicht oder kaum. Der Druck geht Richtung "tut endlich was" im Sinne von: Zieht alle denkbaren Register.
    Den Artikel von Schmid finde ich trotzdem hoch interessant, weil er sich tatsächlich um den aktuellen Mittelpunkt der Debatten in der Politik dreht: Wie weit können wir darauf vertrauen, dass Technologien den Welt-Temperaturanstieg stoppen, und wie weit müssen sich die Spitzenemittenten von Klimagasen massiv einschränken ("Verzicht leisten"), auch wenn das für einige Menschen z.B. Verluste in der freien Lebensgestaltung bedeutet, einzelne Branchen unter Existenzdruck bringt, demokratische Sozialgefüge belastet etc.?
    Hier sind nach meinem Gefühl (!) alle einseitigen Überlegungen falsch. Sowohl "neue Technologien werden uns retten" wie die herkömlichen Technologien einfach "radikal beschränken" sind nicht genügend praktikable Vorschläge. Es wird auf einen Maßnahmen-Mix hinauslaufen, wobei ich eher eine breite Salve von 1.000 verschiedene Maßnahmen erwarte als zwei oder drei Regulierungen.
    Und da liegt der Witz: Diese massiv kreative Politik, bei der vom Reihenhausbewohner bis zu den Parlamenten, vom Handwerker bis zum Großkonzern jede(r) CO2-emissionsvermindernd handelt, bedarf eines hohen Aufwands an "Veränderungsenergie" - und derzeit arbeiten die Gesellschaften (und die Klimakrise selbst) am Aufbau dieser Energie. Die FfF-Bewegung war da ein Zündfunken. Das Thema stand sowieso kurz vor der Explosion. Das geschah alles mit Ansage, wie es kommen musste. Die Vorhersehbarkeit betrifft auch die Inhalte der Debatte, die sich eben unvermeidlich darauf zuspitzen, was mit den herkömlichen Strategien von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erreicht werden kann oder muss - und welche "unkonventionellen" Veränderungen die Verbraucher selbst in ihrem Lifestyle vornehmen müssen. Es geht um die Schmerzverteilung.
    Derzeit tobt die Dialektik. Die nächsten zwei, drei Jahre werden superspannend, weil jetzt überall in der Welt Richtungsentscheide fallen. Bisher gab es ja die Klimapolitik noch gar nicht richtig. Die beginnt jetzt erst.

  2. Christoph Weigel
    Christoph Weigel · vor 5 Jahren

    an thomas schmid kann man sich so richtig schön abarbeiten : )

  3. Chris St
    Chris St · vor 5 Jahren

    Da ist kein Wort überflüssig. Sehr gut.

  4. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 5 Jahren

    ...kann man das irgendwo unterschreiben?
    Oder als Petition einreichen. Wirklich ein sehr, sehr guter piq!

  5. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor 5 Jahren

    word!

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