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Technologie und Gesellschaft

Wenn Journalisten ihr Medium gehört

Jannis Brühl
Redakteur
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Jannis BrühlMontag, 05.06.2023

Die Medien-Website Columbia Journalism Review widmet sich in dem Longread "The last good website" einem ganz speziellen Medium: Defector, die aus den Überresten von Deadspin wiederauferstandene Sport-Website. Deadspin gehörte einst zum Gawker-Imperium und berichtete subjektiv und provokant über US-Sport und Kultur. Als sie mit den neuen Private-Equity-Besitzern in Konflikt gerieten und der Streit eskalierte, gingen die Redakteure und Redakteurinnen einfach.

Nun machen sie mit Defector weiter und der Laden gehört ihnen. Gelebter Anarchosyndikalismus, in dem die Redakteure nicht für ihre Besitzer arbeiten, sondern solidarisch miteinander. Es ist eine Art Laborversuch darin, sich von den moralischen Kompromissen des üblichen privatwirtschaftlichen Journalismus zu befreien:

the group felt it wasn’t worth pursuing anything short of a journalists’ utopia. Every aspect of the business—from paying freelancers half of their rate after receiving a first draft to letting writers and podcasters own their intellectual property—would form a blueprint for a publication both ethical and profitable. The site would be worker-owned, with everyone getting an equitable stake. The hours would be humane

Aber kann das als Vorbild für andere Digitalmedien dienen? Der verrückte Plan funktioniert dank Zehntausender zahlender Abonnenten erstaunlich gut. Was dabei herauskam: Kein Clickbait, zufriedene Redakteure, die teils mehr verdienen als in den ausgebluteten, halb tot gesparten anderen US-Medien und trotzdem ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Der Artikel lässt einen die rotzige Brooklyner Start-up-Atmosphäre spüren, die an die frühe Vice erinnert – allerdings im klaren Bewusstsein, dass Defector wohl kein wirklich relevantes Medium mehr werden wird. Von Liebhabern für Liebhaber – das nennt man dann wohl Vertical, ein Begriff, der derzeit in vieler Munde ist.

Das ganze hat seinen Preis: Die besten Reporter gehen mit der Zeit zu großen Medien wie The Athletic oder zur Washington Post – gelockt von den deutlich höheren Leserzahlen oder der Aussicht, dass einem auch mal ein Sportler oder Clubmanager ein Interview gibt, denn Defector bekommt kaum Zugänge zum Gegenstand seiner bissigen Kommentare. Und auf dem Firmen-Retreat brechen dann doch Konflikte aus, etwa weil manche fürs solidarisch gleiche Gehalt mehr arbeiten als andere.

Wer sich für Medien-Experimente im digitalen Zeitalter interessiert, findet hier viel Gedankenfutter.


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