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Zeit und Geschichte

Noam Chomsky zu globalen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 28.03.2022

Wenn es um eine planetarische Perspektive von regionalen Konflikten geht,  ist Noam Chomsky immer noch anregend.

Befragt zum russischen Angriff auf die Ukraine, antwortet er zunächst, was alle mit Verstand sagen und schreiben, dass es ein großes Kriegsverbrechen ist; dann aber vergleicht er dieses, in den er es auf eine Stufe stellt

mit dem Einmarsch der USA in den Irak und dem Einmarsch von Hitler und Stalin in Polen im September 1939 ... Es ist immer sinnvoll, nach Erklärungen zu suchen, aber es gibt keine Rechtfertigung, keine Beschönigung.

Man könnte einwenden, dass der Irak eine blutige Diktatur war und die Ukraine eine unvollendete Demokratie, aber im weiteren Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass er verschiedene Sichtweisen kombiniert und versucht, daraus eine Synthese zu bilden.

Als Amerikaner leuchtet er verständlicherweise in die Dreckecken seines Landes, so heißt es u. a.:

Aus internen US-Dokumenten, die von WikiLeaks veröffentlicht wurden, geht hervor, dass das rücksichtslose Angebot von Bush II an die Ukraine, der NATO beizutreten, sofort scharfe Warnungen Russlands auslöste, dass die wachsende militärische Bedrohung nicht toleriert werden könne. Verständlicherweise.

(Anmerkung: WikiLeaks-Gründer Julian Assange droht immer noch die Auslieferung an die USA und niemand glaubt an ein faires Verfahren.)

Noam Chomsky skizziert Optionen nach dem Angriff auf die Ukraine:

Ob es uns gefällt oder nicht, die Möglichkeiten beschränken sich jetzt auf ein hässliches Ergebnis, das Putin für den Akt der Aggression eher belohnt als bestraft – oder auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines Krieges im Endstadium. Es mag sich befriedigend anfühlen, den Bären in eine Ecke zu treiben, aus der er verzweifelt ausschlagen wird – wie er kann.

Für alles Leben auf dem Planeten kommt dieser spaltende Krieg in einer Zeit, in der die großen Mächte zusammen agieren müssten, um die menschenverursachte Umweltkatastrophe aufzuhalten,

die bereits jetzt einen hohen Tribut fordert und bald noch viel schlimmer werden wird, wenn nicht rasch große Anstrengungen unternommen werden. Um das Offensichtliche zu verdeutlichen, hat der Weltklimarat (IPCC) gerade die neueste und bei weitem bedrohlichste seiner regelmäßigen Einschätzungen darüber veröffentlicht, wie wir auf eine Katastrophe zusteuern.

Immer wieder kommt er auf die Hybris, das Unvermögen der USA zurück, in der Periode, in der sie die einzige Weltmacht waren, eine Ordnung aufzubauen, die die Existenz der Menschheit nicht akut gefährdet:

Natürlich stimmt es, dass die USA und ihre Verbündeten das Völkerrecht, ohne mit der Wimper zu zucken, verletzen, aber das ist keine Entschuldigung für Putins Verbrechen. Kosovo, Irak und Libyen hatten jedoch direkte Auswirkungen auf den Konflikt um die Ukraine.

Der Einmarsch in den Irak war ein Paradebeispiel für die Verbrechen, für welche in Nürnberg die Nazis gehängt wurden: eine reine, grundlose Aggression. Und ein Schlag ins Gesicht Russlands.

Aber welche Rolle spielt China, welches schon heute nicht nur eine zweite Weltmacht ist, sondern die USA überflügeln könnte?

Es ist schwer zu sagen, wohin die Scherben fallen werden – und es könnte sich herausstellen, dass dies keine Metapher ist. Bislang hält sich China zurück und wird wahrscheinlich versuchen, sein umfangreiches Programm zur wirtschaftlichen Integration eines Großteils der Welt in sein expandierendes globales System fortzusetzen – vor einigen Wochen wurde Argentinien in die „Neue Seidenstraße“-Initiative einbezogen -, während es zusieht, wie sich seine Rivalen selbst zerstören.

Bei aller Vorsicht der Beurteilungen, auch einigen Widersprüchen, ist sich Noam Chomsky sicher, dass wir uns an einem entscheidenden Punkt der Weltgeschichte befinden.

Noam Chomsky zu globalen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine

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Kommentare 6
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

    "Der Einmarsch in den Irak war ein Paradebeispiel für die Verbrechen, für welche in Nürnberg die Nazis gehängt wurden: eine reine, grundlose Aggression. Und ein Schlag ins Gesicht Russlands." Da hat aber Chomsky beide Augen ganz fest zugedrückt, um nicht auf die lange Vorgeschichte des Iraks und seines Diktators Saddam Hussein blicken zu müssen. Sicher auch auf die vielen Irrungen und Wirrungen der amerikanischen Politik. Und auf die Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrates und der UN da eine gute Lösung zu finden. Die 10 Jahre Embargo und die Flugverbotszonen im Auftrag der UN gegen das irakische Regime waren offensichtlich nicht konstruktiv.

    In der UN-Resolution 1441 hatte der UN-Sicherheitsrat den Irak unter anderem dafür verurteilt, seiner Verpflichtung zur Beseitigung und Kontrolle seiner Massenvernichtungswaffen nicht nachzukommen, Terrorismus zu unterstützen und seine Bevölkerung zu unterdrücken. Es wurden die UN-Mitgliedstaaten autorisiert, „alle notwendigen Mittel“ anzuwenden, um die Einhaltung der UN-Resolutionen durchzusetzen. Das wird heute immer vergessen.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 2 Jahre

      Du sprichst Schwachpunkte in dieser Sichtweise an. Deshalb sprach ich auch nur von einem anregenden Text.

      Ich empfehle ihn, weil er eine planetarische Perspektive einnimmt, die hilfreich ist und die immer blinde Flecken hat - selbst bei Umbrüchen und Wendepunkten, die nun mit zeitlicher Distanz betrachtet werden können. Das gilt auch für Jahrhundertüberblicke wie Hobsbawms Geschichte des 20. Jahrhunderts. In seinem "Goldenen Zeitalter" starben Millionen durch die "Kulturrevolution".

      Spätestens seit der Niederlage des "Westens" in Afghanistan entwickeln sich neue Konstellationen, die aber noch teilweise im Nebel liegen. Für den Balkan versuchte ich sie im vergangenen November zu skizzieren:
      https://www.blaetter.d...

      Aber wer kann, sollte versuchen, eine Panoramasicht zu vermitteln, wenn diese auch noch sehr fragmentarisch ist, weil es noch zu viele offene Stellen gibt.

      In dieser Hinsicht finde ich Chomsky hilfreich.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Achim Engelberg Mich reißt Chomsky immer hin und her. Ein so kluger Mensch und oft so blind (im Detail, das so wichtig sein kann) ……

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 2 Jahre

      @Thomas Wahl Me too.

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als 2 Jahre

    ...ich wundere mich ein wenig über die Aussage, in Nürnberg wären Menschen für Verbrechen gehängt worden, wie es der Einmarsch im Irak war...zwar wurde in Nürnberg meines Wissens auch wegen Angriffskrieg verurteilt, aber immer in Verbindung mit einer Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Oder? Jedenfalls kann ich mir nicht denken, dass es wegen Angriffskrieg "alleine" zu Todesurteilen gekommen wäre...zumindest wäre das historisch ein "ungewohnter" Standard.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 2 Jahre

      Wahrscheinlich meint er diese Verbrechen
      https://de.wikipedia.o...
      + die noch nicht aufgeklärten. Immerhin gibt es noch nicht mal eine Untersuchungskommission.

      Ob dieser Angriffskrieg die gleiche Dimension bekommen würde, weiß ich nicht, bezweifele es aber wie Du.
      Möglicherweise reagiert man als Deutscher vorsichtig und als Amerikaner, der die Verbrechen seines Landes anklagt, drastisch.

      Chomsky bleibt da alterswild und wird nicht altersmild.

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