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Feminismen

Ist die Freiheit der Wissenschaft wirklich in Gefahr?

Mohamed Amjahid
Buchautor und Journalist

Reporter, Kurator, Autor für deutsche und internationale Medien. Studium der Politikwissenschaft/Anthropologie. Themen: Weiße Mehrheitsgesellschaft, MENA, Autokratien, Kapitalismuskritik, Feminismus und kritische Theorie.

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Mohamed AmjahidDonnerstag, 23.02.2023

In der deutschsprachigen Wissenschaft tobt seit Jahren ein politischer Kampf. Eine Gruppe von Inhaber*innen von Lehrstühlen hat sich sogar als Verein organisiert und behauptet, dass die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland nicht nur gefährdet, sondern längst verloren sei. Schuld daran seien vor allem die Gender Studies und kritische Studien zum Thema Rassismus. Nichts könne man mehr in Deutschland erforschen, ohne dass man von "Gender-Gaga" oder der politischen Korrektheit zensiert würde, so lautet das für wissenschaftliche Verhältnisse sehr absolut formulierte Argument. 

Ich selbst hatte auch schon mal auf einem Podium Bekanntschaft mit dem "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" gemacht. Zwar liegt meine Uni-Zeit etwas in der Vergangenheit, mir fiel aber die sehr unwissenschaftliche Art und Weise auf, wie Vertreter*innen des Vereins sprechen. Selten geht es um Daten oder Studien, sehr oft um persönliche Ansichten, die nachrecherchiert gehören. Oft wird behauptet, man könne seine Meinung nicht mehr kundtun – während man aber genau dies tut. 

Dieser Gastbeitrag von Simon Strick und Johanna Schaffer im Tagesspiegel fand ich deswegen sehr spannend, er liest die Arbeit des Netzwerks kritisch und reflektiert auch die Frustration in der Wissenschafts-Community, sich mit den akademischen Köpfen "für die Freiheit" auseinandersetzen zu müssen, die sehr oft politisch sehr rechts anzusiedeln sind: 

So zeigt sich das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ weniger als freiheitsliebend, sondern als durchaus mächtige Lobbygruppe von Lehrstuhlinhaber*innen, die ein aggressives Agitieren gegen Gender Studies, Queer Theory und Rassismusforschung zum Arbeitsschwerpunkt erhoben haben. Es geht hier nicht um Wissenschaft, sondern um Aktivismus und den Machterhalt einiger akademischer Eliten. Der Superslogan „Freiheit der Wissenschaft“ ermöglicht den schnellen Schritt von der strategischen Provokation zur einstudierten Rolle als Opfer der „Cancel Culture“, und weiter zur Feindbestimmung und persönlichen Abwertung. Das alles hat mit Respekt, Forschungsfreiheit oder Erkenntnisinteresse nichts zu tun, sondern ist Aktivismus im akademischen Verdrängungskampf.

Transparenz-Hinweis: Ich selbst hatte mal über einen bekannten Vertreter des Netzwerks eine Reportage geschrieben, die zeigt, welche Probleme so ein Freiheitsdiskurs auf einem Campus ganz konkret mit sich bringen kann. 

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Kommentare 12
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

    ich will und kann jetzt die bereits erfolgten Kommentare nicht bewerten, möchte aber zumindest anmerken wie aggressiv und frauenfeindlich häufig Vertreter der "GenderWahn"-Behauptungen agieren. Das klingt schon nach einer Nähe zum rechtem Spektrum...

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Fragt sich nur, ob das auf die im Netzwerk organisierten Wissenschaftler überhaupt zutrifft. Auf der Seite des Netzwerks ist bspw mehrfach von „Kolleginnen und Kollegen“ die Rede.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Und zu welchem Spektrum zählen dann aggressive Behauptungen/Vorwürfe zu Rassismus, Menschenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Islamophobie usw.? Zum Spektrum des immer Guten und der Toleranz? Mir scheint eher, das der Kommunikationsprozess ziemlich flächendeckend entgleist ist. Mit Wissenschaft und Freiheit oder Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Das ist die offizielle Mitgliederliste:
    https://www.netzwerk-w...
    Wenn diese Vielzahl oft "sehr recht" agieren, haben wir ein echtes Problem.

    Ich war überrascht, wie viele mittlerweile Mitglieder sind. Wie ist die Interpretation im piq mit der Liste in Übereinstimmung zu bringen?

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

      Zu schreiben "sehr oft politisch sehr rechts" ist halt Polemik. Genauso wie sein Satz in einem früheren Piq: "Rechtsextreme Autor*innen und Figuren aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk". Hat er auch nie belegt oder zurückgenommen.

  3. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

    Also ich find das alles nicht überzeugend, der Piq stellt die Position des Netzwerkes sehr simpel dar und der zitierte Absatz aus dem Tagesspiegel-Text – den ich nicht lesen kann, weil er hinter einer Bezahlschranke steht – liefert keine Belege, sondern nur Meinung.

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Dieser PIQ gibt im Zitat nur das Fazit des Tagesspiegel-Artikels wieder. In der Tat enthält er ausschließlich negative, von den Verfassern kritisierte Beispiele für Aktivitäten des Netzwerks.

      In untenstehendem Kommentar erwähnte ich meinen PIQ zum Netzwerk. Er empfahl u. a. einen Gastkommentar, der auch Fälle benannte, in denen das Netzwerk gegen ungerechtfertigte Behinderung wissenschaftlicher Diskurse vorging.

      Zum TSP: Die Autoren Simon Strick und Johanna Schaffer beziehen sich auf den kürzlich im Nomos-Verlag erschienenen Sammelband „Wissenschaftsfreiheit. Warum dieses Grundrecht zunehmend umkämpft ist“, herausgegeben von der Netzwerkvorsitzenden Sandra Kostner, und konstatieren (Zitat): In zwölf Beiträgen liest man von „Tabuzonen wissenschaftlicher Auseinandersetzung“, von „politischen Aktivisten, die staatlich finanzierte Ideologieproduktion betreiben“ und von einer „identitätslinken Läuterungsagenda“. Allesamt erzeugten diese eine „postmodern legitimierte und aktivistisch generierte Wissenschaftsunfreiheit“, wie Barbara Holland-Cunz im Band behauptet. (Zitat Ende)

      Die im Artikel aufgeführten mutmaßlichen Cancel-Culture-Vorkommnisse sagen mir zumeist nichts, ausgenommen der Fall Maaßen. Zitat:
      In diesen Niederungen des Bandes, wo Kritiker*innen als „akademische Neider“ bezeichnet werden, greift kein wissenschaftliches Kriterium mehr – ihr Punkt ist die pure Denunziation. Das ist bemerkenswert für Mitglieder eines akademischen Netzwerks, das sich einer von „gegenseitigem Respekt geprägten Debattenkultur“ verschrieben hat, wie auf der Webseite des Vereins zu lesen ist.
      Mit diesem Nebeneinander von Eskalation und wissenschaftlich Argumentierbarem steht der Band nicht allein, sondern ist repräsentativ für eine Reihe von Veröffentlichungen aus diesem Umfeld. Im Blog des Netzwerks formulieren namhafte Professoren Angriffe auf Personen und Organisationen, stets im Namen vermeintlicher Wissenschaftsfreiheit. Der Philosoph Dieter Schönecker bezeichnet in einer Rezension den Literaturwissenschaftler Adrian Daub als „Fanatiker“; zwei Juraprofessoren fühlen sich angesichts der Trennung des C.H. Beck Verlags von Hans-Georg Maaßen an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen erinnert – eben jener Maaßen, gegen den die CDU wegen seiner Aussagen derzeit ein Parteiausschlussverfahren anstrengt.
      Es ist ein spezifischer Zynismus, der diese Texte der Mitglieder des „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ auszeichnet: ... (Zitat Ende)

      Anmerkung: Die Autoren sind Medien- und Kommunikationswissenschaftler, und der Artikel ist sicher deswegen auf Umgangsformen und Forschungsstandards fokussiert, ohne auf die Inhalte des Sammelbandes näher einzugehen (habe ihn nicht gelesen). Dabei heben sie hervor (Zitat): Das Netzwerk macht auch die Effekte der Neoliberalisierung der Hochschulen deutlich: Wissenschaftliche Zusammenarbeit und Debatte werden ersetzt durch Polemik, Anfeindung und Brutalität. Im Kampf um Drittmittel und Gremienhoheit wird die Abwertung der Konkurrenz als „Pseudoforschung“ oder „Kult“ zum geeigneten Mittel. (Zitat Ende)

      Aktuell erschien in der FAZ eine Replik auf den Artikel des TSP, die konkret das Thema Migrationsforschung aufgreift: www.faz.net/aktuell/ka... (Paywall)

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Den Artikel von Thomas Thiel in der FAZ wollte ich gerade piqen, aber ist er ja hier schon erwähnt, ich kann übrigens frei auf ihn zugreifen.

    3. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Dirk Liesemer Vielleicht ist er einen Piq wert, gestern habe ich ihn nur überflogen und kann jetzt nicht weiter einsteigen.

  4. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Zur Cancel Culture hatte ich einen Community-Piq geschrieben: www.piqd.de/wissenscha...

    Es ist schon bedrückend, wie sich das in Deiner Reportage aus Siegen wiedergegebene Szenarium mit unheimlicher Hartnäckigkeit fortsetzt – u. a. mit Egon Flaigs Auftritt 2021 in Osnabrück. Wenn von dort am Ende des Tages berichtet wird, dass es während des Vortrags keine nennenswerten Zwischenfälle gab, bleibt unerwähnt, was denn die Studierenden vom Althistoriker hatten lernen können. In Erinnerung bleibt der ganze Rummel um die Veranstaltung – abgesehen vielleicht von der Resonanz in einzelnen Burschenschaften ...

    Zur Kritik (Aleida Assmanns) an Flaigs Positionen hatte zuletzt Dennis Basaldella gepiqt: www.piqd.de/wissenscha... Aus der Diskussion zu diesem Piq lässt sich fast ein komplettes Dossier ableiten; in seinem ersten FAZ-Artikel zum Thema hatte sich Flaig selbst als Opfer der Cancel Culture stilisiert.

  5. Ruediger Reinhardt
    Ruediger Reinhardt · vor mehr als ein Jahr

    Nun, es geht letztlich um Macht(ansprüche), deren Legitimation und Durchsetzungsformen - wobei es ein "Über die Stränge schlagen" auf beiden Seiten gibt. Aktuelles Beispiel:

    Seitdem wir an der Fakultät eine neue Gleichstellungsbeauftragte haben, wird versucht, auf die Gremien genderideologisch Druck auszuüben. Der neueste Schrei: Wir sollen uns als Mitglieder der Berufungskommission vor der Sitzung zu einem einstündigen Online-Briefing (sic!) einfinden, um unsere unbewussten (sic!) Vorurteile gegenüber Frauen zu reduzieren. Das ist fachwissenschaftlich gesehen kompletter Humbug (ich bin Psychologe) - aber offensichtlich gibt es hier ein bundesweites Programm, an dem schon über 50 Prozent der Hochschulen mit Erfolg teilgenommen hätten (was auch immer das zu bedeuten hat).

    Und natürlich gibt es inzwischen an kaum einer Uni bzw Hochschule Rektoren oder Präsidenten, die sich trauen, der jeweiligen Gleichstellungsbeauftragten Contra zu geben.

    Und natürlich wissen das diese Damen (meistens sind es ja Frauen) recht genau und - wie einführend gesagt - werden eifrig Machtspiele gespielt (ob das nun nützlich ist oder nicht (wie in meinem Beispiel), spielt dann keine Rolle).

    1. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

      habe ich ganz anders erlebt: Gleichstellungsbeauftragte werden als leidiges must-have behandelt und als zusätzliche Garnierung hingenommen, um das Thema abzuhaken und ggfs. entsprechende Förderungen abzugreifen.

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