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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Wir Deutschen tun seit einiger Zeit nichts lieber, als uns immerzu für alles mögliche auf die Schulter zu klopfen. Mittlerweile müsste sie schon ganz wund sein. Zugegeben, einiges läuft ja auch wirklich nicht schlecht, jedenfalls besser als anderswo. Wer will schon unter Bolsonaro, Trump oder Putin leben müssen? Trotzdem liegt mittlerweile ordentlich viel Weihrauch in der Luft.
Hin und wieder braucht es einen Blick von außen, jemanden, der uns sagt, dass hierzulande vielleicht doch nicht alles so großartig ist, dass auch wir unsere blinden Flecken haben und unsere Vorurteile pflegen – zum Beispiel, wenn es um Macron im Speziellen und Europa im Allgemeinen geht.
Man könnte nach einer solchen Einleitung vermuten, dass in dem gepiqten Interview mit dem britischen Wirtschaftshistoriker Adam Tooze eine große Abrechnung mit Deutschland erfolgt. Das ist zunächst aber gar nicht der Fall. Anfangs geht es vielmehr um die Frage, in welcher wirtschaftlichen Situation sich Europa gerade befindet, wie man die Schulden, die jetzt überall angehäuft werden, wieder loswird und welche Rolle dabei den Notenbanken zukommt (nämlich eine sehr zentrale).
Erst im zweiten Teil folgt eine Kritik an der deutschen Politik, die er als defensiv und gestaltlos bezeichnet – es ist eine Kritik, die man in den ersten Jahren Merkels auch in sehr vielen Kommentaren lesen konnte, ehe diese Kritik gelangweilt aufgegeben wurde. Als einzig realistisch benennt Tooze eine Europapolitik, die hierzulande keinen prominenten Befürworter findet:
Aber es ist unter diesen Bedingungen das einzig Realistische. Das ist die Position des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sagt: Wir brauchen einen föderalen Ausbau der EU und das muss Geld kosten und dafür müssen Eurobonds her.
Er verstehe auch nicht, warum "es in der deutschen Politik so wenig Figuren gibt, die in gewisser Weise diesen Macron’schen Anspruch haben, eine gute Figur abgeben zu wollen". Dabei ist bezeichnend, aber eben auch nachvollziehbar, dass ihm ausgerechnet Helmut Kohl (und – würg! – Bismarck) einfällt:
Glauben Sie mir, ich war in den 80er-Jahren weiß Gott kein Fan von Helmut Kohl – aber im Nachhinein ist klar, dass er diesen heroischen politischen Anspruch hatte. Es war natürlich sehr ungewohnt für einen hochprovinziellen Menschen, aber trotzdem sagte er: Ja okay, jetzt machen wir mal den Bismarck.
Soll heißen: Es braucht mal wieder einen historischen Sprung nach vorne.
Anmerkung: Unklar bleibt, wann genau das Interview geführt wurde. Als Veröffentlichungsdatum ist zwar der 26. Mai angegeben, aber üblicherweise stellt Capital nur Texte online, die zuvor im Heft erschienen sind.
Quelle: Interview mit Adam Tooze Bild: Caroline Tompkins capital.de
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Sehr interessante Betrachtung. Das tolle an Tooze ist ja der Blick von außen und thematisch von innen durch Forschungsschwerpunkte und Biografie https://de.wikipedia.o....
Als Folgelektüre bzw. zum Hören würde sich dann folgendes eignen (Thema europäisches Staatsgebilde): https://www.piqd.de/eu...