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Volk und Wirtschaft

Butterwegge gegen Precht und das bedingungslose Grundeinkommen

Christian Huberts
mächtiger™ Kulturwissenschaftler und Kulturjournalist
Zum User-Profil
Christian HubertsDienstag, 17.07.2018

Im Juni 2018 begegneten sich Armutsforscher Christoph Butterwegge und Philosoph Richard David Precht auf dem Philosophie-Festival phil.cologne, um über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) zu streiten. Im Deutschlandfunk Kultur lassen sich nun einige Schlaglichter der Diskussion nachhören. Die Fronten verlaufen nicht überraschend: Precht nebelt durch Menschheitsgeschichte und Zukunftsdystopien, um eher waghalsige Wunschexperimente an komplexen Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen zu plausibilisieren. Butterwegge vermengt verschiedenste BGE-Modelle zu einem neoliberalen Strohmann, der sich immer wieder leicht abbrennen lässt.

Am Ende gewinnt aber wohl Butterwegge nach Punkten. Seine alternative Idee einer »Grundsicherung, die bedarfsgerecht, armutsfest und repressionsfrei sein müsste«, unterscheidet sich eigentlich nur im Namen von einem Grundeinkommens-Modell, ist aber realistischer umsetzbar. Und man muss »Bedingungslosigkeit« schon sehr kleinkariert definieren, um darin nicht auch eine Bedarfsprüfung unterbringen zu können. Denn solange die vorgeschlagene Grundsicherung – anders als etwa bei Hartz IV – frei von Repressionen bleibt, steht sie jedem Bürger – bei Bedarf – bedingungslos zur Verfügung.

Im Fall von Transferleistungen wie dem Kindergeld, das durch ein BGE wegfallen könnte, beteiligt sich Precht sogar unmittelbar an der Strohmann-Konstruktion. Im Radiobeitrag kommt die entsprechende Stelle leider nicht vor, sie ist aber Teil der Druckfassung des Streitgesprächs im aktuellen Philosophie Magazin:

Precht: Sie haben es genau erfasst. Ich möchte nicht, dass jemand, der 1500 Euro Grundeinkommen hat und keine Perspektive auf einen Beruf, auf die Idee kommt, fünf Kinder zu kriegen.


Butterwegge: Also das ist jetzt nicht mehr nur neoliberal, sondern schon sozialreaktionär.

Fun-Fact: Unter den Bedingungen des BGE-Modells, das Precht vorschlägt, wäre ich jetzt nicht hier, um diesen Beitrag piqen zu können. Das bedingungslose Grundeinkommen als Biopolitik? Nein, danke.

Butterwegge gegen Precht und das bedingungslose Grundeinkommen

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Kommentare 9
  1. Ulf H
    Ulf H · vor 6 Jahren

    Aus meiner Sicht ist es absolut fahrlässig anzunehmen, dass alle Bürger dieses Landes eigenständig genug wären und ihr Leben meistern könnten, wenn der Staat ihnen 1000-2000 € überweisen würde.
    (das Problem mit der Inflation bzw. Teuerungsrate lasse ich jetzt mal außen vor)

    1. können viele Menschen nicht mit Geld umgehen
    2. löst Geld allein nicht die Probleme aller Menschen

    dazu zählen u.a.:

    - Suchtkranke (Drogensucht, Spielsucht etc.) Wo würde deren Grundeinkommen wohl landen?
    - Jugendliche, die über Konsum/ Materialismus ihr Selbstwertgefühl steigern und sich (gerade durch die Möglichkeiten von Ratenzahlungen und eCommerce) früh Überschulden:
    https://www.youtube.co...
    - Menschen aus sogenannten Harz4 - Dynastien denen häufig jeglicher Erfahrung und Vorbilder fehlen eigenmotiviert und zielstrebig den eigenen Tag zu strukturieren und langfristig auf ein Ziel hinzuarbeiten. (bitte jetzt nicht als Harz4 Bashing verstehen)
    - Opfer von Kredithaien:Nach dem Untergang des "Ostblocks" haben sich z.B. sehr viele Menschen in Georgien überzogenen Kredite andrehen lassen, die Folge Überschuldung, Pfändungen, Hausräumungen
    https://www.arte.tv/de...
    - (die meisten) Schulabbrecher
    ...

    Mein Vorschlag wäre daher eine Kombination aus Gutscheinen bzw. Punktesystem/ Sachleistungen/ Zugangsmöglichkeiten/ Beratung und Geld.

    Nach gängigen Studien sind Faktoren für ein zufriedenes Leben u.a.:
    Beschäftigung, (soziale)Anerkennung, Respekt, Freiräume sich (weiter zu)entwickeln, Sozialkontakte, Mobilität, Internet, genug Nahrung, die Möglichkeit sicher und bequem zu schlafen.
    Wie könnte dies gelingen? Ein Vorschlag:

    Als Basis gibt es eine Grundversorgung in Form von Sachleistungen z.B.:
    Grundpauschale für Strom, Wasser, Heizung, Datenübertragung,
    X Fahrten im ÖPNV/ DB/Sharing Diensten, Zugang zu (Fort-)Bildung / Sportangebote, Lebensmittelgutscheine (nicht Harzt4 Gutscheine eher wie in Frankreich = keine Stigmatisierung)

    Diese könnte auch im bestimmten Umfang ein-/umgetauscht werden.
    z.B. eine ICE fahrt gegen 2 Monate Schwimmbad.

    Weiter müsste zunächst das Bildungssystem reformieren werden, so dass Kinder und Jugendliche zu selbstbewussten, kreativen, kritisch denkenden, neugierigen, selbstständigen Menschen heranwachsen. Die mit sich selbst im reinen sind und für sich Ziele und Wünsche formulieren können.
    Während ihrer Entwicklung sollten den jungen Menschen dafür ausreichend Lehrer/Sozialpädagogen/ Psychologen und später Ausbilder/Mentoren/Coaches/ Professoren zur Seite zu stehen, mit deren Unterstützung sie ihre Energie sinnvoll* kanalisieren können. (*sinnvoll ist jetzt recht schwammig, aber mir geht es zunächst um das große Bild)

    Im Zeiten des sogenannten lebenslangen Lernens betrifft das eigentlich alle.
    Das bedeute barrierefreie, hochwertige, personalisierte (Fort-)Bildungsangebote für die gesamte Bevölkerung. Weiterhin sollte jedem bei Bedarf der Zugang zu einer psychologische Beratung/ Unterstützung/ Therapie möglich sein.

    Dies ist gepaart mit Zuschüsse für die Umsetzung von Gründungen/ Initiativen/ Projekten Dafür könnte die KFW ausgebaut werden. Je erfahrender und psychisch stabiler ein Mensch ist desto freier könnte dieser über sein Budget/Zuschuss verfügen.
    In einem bestimmten Umfang sind diese Zuschüsse zinsfrei, ersetzten aber keine Kredite der KFW.

    Ab einem bestimmten Alter/Reifegrad erhalten Bürger dann zusätzlich gestaffelt ein BGE.

  2. Moritz Orendt
    Moritz Orendt · vor mehr als 6 Jahre

    Ich finde das Gespräch am Ende enttäuschend, weil beide einfach von anderen Grundannahmen ausgehen und dann engagiert aneinander vorbei diskutieren.

    Precht meint, dass sich durch die Digitalisierung alles ändert und wir deswegen radikal andere Gesellschaftsmodelle brauchen. Seine Idee dazu ist eine Form des Grundeinkommens.

    Butterwege hält die Digitalisierung für eine neoliberale Geschichte, die benutzt wird, um Arbeitnehmern Lohn- und Sozialkürzungen abzupressen. Die Auswirkungen durch die Digitalisierung sind seiner Meinung nach auf alle Fälle geringer einzuschätzen als die der Elektrifizierung, weil die Elektrifizierung der Digitalisierung vorangeht [ein großes Hä von meiner Seite???]. Darum sollten wir einfach den Sozialstaat in seiner jetzigen Form verbessern.

    Wem man dann in der Diskussion mehr Punkte gibt, hängt einfach von den eigenen Annahmen ab.

  3. Georg
    Georg · vor mehr als 6 Jahre

    "Und man muss »Bedingungslosigkeit« schon sehr kleinkariert definieren, um darin nicht auch eine Bedarfsprüfung unterbringen zu können". Genau das ist der Punkt, an dem sich die Katze in den Schwanz beißt. Schaut man sich in Foren an, was die vielen Anhänger des BGE glauben, so geht doch das Gros davon aus, dass es eben keine Bedarfsprüfung gibt ("wer es nicht braucht, wird es auch nicht nehmen" kommt viel häufiger vor) - und ich finde, dass man "bedingungslos" eben nicht kleinkariert auslegt, wenn man davon ausgeht, dass es eben GAR KEINE Bedinungen geben wird. Zumindest ist doch mit guten Gründen davon auszugehen, dass genau darauf gepocht wird, wenn es einmal eingeführt ist. Und das ist die große Gefahr dieses Begriffes, den Butterwegge zurecht beim Wort nimmt. Letzten Endes ist der Begriff ein irreführendes, wahrscheinlich populistisch sehr brauchbares Narrativ, wenn man doch eigentlich "nur" die Einführung (oder Reform) der bedarfsbedingten Grundsicherung meint, was ein sehr wichtiges Vorhaben ist. Gerade weil es sich bei diesem Mechanismus um einen essentiellen handelt (definierend, was wie gerecht, sozial und Teil der kollektiv stets zu sichernden individuellen Menschenwürde sein soll), muss man, finde ich, die dahinterstehende Idee als solche klar benennen.

    1. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor mehr als 6 Jahre

      Aber selbst unter den BGE-Anhängern werden Auszahlungsmodelle gehandelt, die einer Bedarfsprüfung gleich kommen, etwa die negative Einkommenssteuer. Ich denke, die Bedarfsgerechtigkeit ist das kleinste Hindernis. Viel entscheidender sind Armutsfestigkeit und Repressionsfreiheit. Diese beiden Elemente bietet Butterwegge an.

      Es handelt sich bei dem Fokus auf Bedingungslosigkeit, soweit ich das überblicke, auch hauptsächlich um ein Phänomen im deutschsprachigen Raum. Der englischsprachige Diskurs geht da von vornherein differenzierter mit dem Begriff »basic income« um und lässt die »universality« bzw. »unconditionality« nur eine mögliche Eigenschaft unter mehreren sein. In Deutschland und der Schweiz kann ein Grundeinkommen ohne Bedingungslosigkeit – bei den Kritikern und den Befürwortern – offenbar nicht gedacht werden. So ist Überzeugungsarbeit bei BGE-Anhängern für einen starken Sozialstaat, insbesondere wenn er sich Armutsfestigkeit und Repressionsfreiheit auf die Fahne schreibt, natürlich kaum noch möglich, weil sich der Diskurs stets schon am Strohmann der Bedingungslosigkeit aufreibt.

  4. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als 6 Jahre

    ...habe es anders verstanden. Butterwegge will kein wie auch immer geartetes allgemeines GE - er will den Sozialstaat schützen und verbessern und ahnt, aus meiner Sicht mit Recht, das neoliberale Gespenst, das die Hintertüre BGE nutzen will, um alle möglichen Verantwortungen los zu werden.. Andersherum sehe ich nicht, dass Precht dieses Gespenst ist - er führt dieses Gespräch irgendwie sehr defensiv, weil abstrakt und auf der Suche nach neuen Konzeptionen. Da ist er gegenüber dem realpolitischen Ansatz von Anfang an unter Druck. Es gelingt beiden leider nicht, da eine Brücke zu schlagen. Precht ist zu eitel, um seine Defensive zu realisieren und Butterwegge zu eitel, um darauf zu verzichten, das auszunutzen.

    Und auch wenn das Precht-Bashing vermutlich bald offiziell als E-Sport zugelassen wird und ich da auch gelegentlich zu den Zockern gehöre - seine Stärke ist es gerade auch unfertige Positionen und Themen einzubringen und sich angreifbar zu machen. Aber ist er wirklich "sozialreaktionär"? Und was meinst du mit "biopolitisch"?

    1. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor mehr als 6 Jahre

      Von Prechts Vorschlag, nur Menschen ab 21 Jahren ein BGE auszuzahlen und gleichzeitig das Kindergeld abzuschaffen, wären vor allem jene Milieus negativ betroffen, die ohnehin schon prekär leben, die »keine Perspektive auf einen Beruf« haben. Denen möchte er offenbar die »Idee« (ich könnte eigentlich auch »das Recht« schreiben) unschmackhaft machen, Nachwuchs zu produzieren. Entscheidend ist hier nicht mehr die generelle Eignung, Kinder großzuziehen, sondern der sozioökonomische Status. Ohne die abfedernde Wirkung des Kindergelds, wird die Großfamilie zum Privileg der Wohlhabenden und Gebildeten. Solche Vorschläge – bei denen die Politik direkt oder indirekt Einfluß auf die Biologie ausüben möchte – finden sich zum Beispiel auch bei Thilo Sarazin, dem eine Erhöhung der »sozioökonomischen Qualität der Geburtenstruktur« vorschwebt. Auch wenn Precht sicher kein Sarazin ist, bewegt er sich hier auf einer sehr ähnlichen, sozialreaktionären Baustelle.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als 6 Jahre

      @Christian Huberts danke...
      Nun hat er ja aber tatsächlich aus einem Kontext und von "Idee", nicht von "Recht" gesprochen. Ich lebe nicht prekär und weiß, was für eine enorme wirtschaftliche Belastung 2 Kinder sind. Sie sind in der jetzigen Systematik schon ein Luxus. Prekär 5 haben zu wollen sollte zwar jeder das Recht haben, aber auf die Idee muss man vielleicht wirklich niemanden bringen. Das würde ich als sozialkonservativ akzeptieren, aber nicht als reaktionär. Aber das Eis ist dünn und ich fand ja auch, dass Precht viel zu sophistisch argumentiert hat. Das GE als konkrete biopolitische Maßnahme (danke für die Klärung) hat er nicht gemeint behaupte ich. Seien wir auch ein wenig froh, wenn jemand solche Debatten mit offenem Visier führt und greifen wir nicht sofort zu Hammer und Nägeln.

    3. Christian Huberts
      Christian Huberts · vor mehr als 6 Jahre

      @Marcus von Jordan Ja, dünnes Eis, aber ich lasse nicht locker. Precht offenbart in seiner Argumentation für das BGE grundlegendes Wissen über prekäre Lebenswelten. Ich unterstelle ihm, dass er sich mit den Bedingungen und den Folgen von (relativer) Armut auseinandergesetzt hat. Wenn er nun aber dennoch suggeriert, dass Menschen, die prekär Leben, aus einer »Idee« heraus Nachwuchs zeugen, die man nur – über existenziellen Druck – rechtzeitig zerstreuen muss, um größere Armut zu vereiteln, bedient er längst überwundene Klischees. Im Umkehrschluss sagt er ja, dass Kindergeld die »Idee« bestärkt, mehr Kinder zu bekommen, obwohl man es sich eigentlich nicht leisten kann. Aus dem selben Grund sähe Thilo Sarrazin gerne das Kindergeld halbiert. Nun ist Precht sicher nicht Sarrazin, aber an dieser Stelle im Interview argumentiert er so reaktionär wie er, meine ich.

    4. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als 6 Jahre

      @Christian Huberts ...den implizit irgendwie mitschwingenden Umkehrschluss finde ich sogar am problematischsten an der Sache.
      Na zumindest ich hab was gelernt.

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