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Volk und Wirtschaft

"Peak China" - Weltmacht auf dem Höhepunkt oder vor der Stagnation?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 12.12.2023
Die Entwicklung Chinas könnte über die Zukunft des Weltsystems entscheiden. Und China scheint auf dem Weg wirtschaftlich und politisch zu einer der dominierenden Mächte des Globus zu werden.
Seit Xi Jinping vor mehr als einem Jahrzehnt an die Macht kam, hat er genau eine solche Erzählung propagiert. Er hat Chinas Streben nach Modernität, Macht und globalem Status als zielgerichtet und strategisch bezeichnet und dieses Streben in das eingebettet, was er den "chinesischen Traum von der nationalen Verjüngung" nennt. Er will China in ein mächtiges, respektiertes und sozialistisches Land verwandeln und das globale System der Regierungsführung und Werte im Interesse Chinas neu gestalten, um bis 2049, dem hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, eine China-zentrierte Weltordnung zu schaffen.

Aber schon bevor Xi 2012 die Macht übernahm, begann sich das Wirtschaftswachstum im Land zu verlangsamen. Daran hat auch sein weiter ausgebautes, staats- und parteizentriertes Machtsystem, in dem Kontrolle, Stabilität und Unterdrückung weiter wuchsen, nichts geändert. Im Gegenteil:

Diese Woche hat Moody's, die internationale Ratingagentur, ihre Aussichten für Chinas Kreditwürdigkeit von "stabil" auf "negativ" herabgestuft, während das A1-Rating des Landes vorerst beibehalten wurde. Die Agentur äußerte sich besorgt über die sich abschwächenden wirtschaftlichen Aussichten und die steigenden Schuldenkapazitätsprobleme.

Sicher, der von einigen vorhergesagte Zusammenbruch der chinesischen Wirtschaft oder gar des Landes ist nicht eingetroffen und ist auch nicht wirklich zu erwarten. Aber die Antwort auf die Frage, ob die Wirtschaft dort ihren Höhepunkt erreicht hat, ist für China und die Welt nicht trivial.

China ist schließlich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, die größte Exportnation der Welt, das Herzstück der Lieferketten der Welt und macht etwa ein Drittel der globalen Produktion aus. Es gibt wahrscheinlich keinen Präzedenzfall für das Ausmaß seines industriellen Ehrgeizes oder das Geld und die Ressourcen, die es mobilisiert hat, um es zu verwirklichen. Es ist von entscheidender Bedeutung in Branchen zur Eindämmung des Klimawandels, der sauberen Energie, der künstlichen Intelligenz und einer Reihe weiterer fortschrittlicher Technologien. Es ist dabei, seine eigene Luft- und Raumfahrtkapazität zu entwickeln und ist derzeit der weltweit führende Hersteller von Elektrofahrzeugen und Batterien …

Aber es ist außergewöhnlich, wie schnell sich der Wachstumsoptimismus geändert hat. Chinas Wirtschaft ist heute etwa 5 Billionen Dollar oder 20 Prozent kleiner als mit den rosigen Prognosen zu Beginn der Amtszeit Xis angenommen. 

Tatsächlich hat sich Chinas Wirtschaftswachstum in den 2010er Jahren fast halbiert. Jetzt halbiert es sich wieder auf etwa 2 bis 3 Prozent.

Hier ist interessant, wie der Autor Parallelen zum Aufbruch Japans in den 70/80er Jahren zieht. Damals waren es die asiatischen Tigerstaaten (Südkorea, Singapur, Taiwan und Hongkong) sowie insbesondere Japan, die zu einer Zone beschleunigten Wachstums wurden und den Westen herausforderten, aber auch befruchteten. Die japanische Regierung betrieb mit wachsenden Staatsausgaben eine wirtschaftlich-technologische Entwicklungspolitik. Der japanische Markt wurde nach innen heftiger Konkurrenz ausgesetzt, durch mehrere gleich starke Wettbewerber angeheizt, nach außen hin aber abgeschirmt. Japanische Unternehmen übernahmen Schlüsseltechnologien aus dem Ausland, die sie kontinuierlich verbesserten (Kaizen). Auch neue Technologien wurden entwickelt und insgesamt international steigende Marktanteile erobert. 1987 äußerte sich der Dekan der School for Advanced International Studies an der Johns Hopkins University zur Strategie des damaligen japanischen Hauptgegners der USA: 

Es wäre töricht zu bezweifeln, dass diese Strategie zu spektakulären Fortschritten und wachsender Vorherrschaft in einer Vielzahl von Bereichen wie Industriekeramik, Lasern, Halbleitern, Biotechnologie, Solarenergie, Robotik, Supraleitern und möglicherweise in der Weltraumforschung führen wird. Diese Fortschritte wiederum werden weitgehend in Konsumgütern verwendet und steigende Exporte und steigenden Technonationalismus hervorrufen. Was wiederum zu sich vertiefenden Ängsten unter den Amerikanern führen wird, dass wir nicht mehr konkurrieren können.

Diese Worte könnten jüngst genauso über China geschrieben worden sein. Gleich nach diesen alarmierenden Worten erlitt allerdings Japan damals, innerhalb von drei Jahren, einen wirtschaftlichen Schock und einen relativen Niedergang, der fast zwei Jahrzehnte andauern sollte. Dazu George Magnus im Artikel:
Japan lehrt uns, dass zwei Dinge gleichzeitig wahr sein können. Ein Land mit Unternehmen von Weltrang und hohen Leistungen in Wissenschaft und Technologie kann auch eine Wirtschaft mit tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Widersprüchen haben, mit Vermögensblasen und Ungleichgewichten, die, wenn sie nicht angegangen werden, schlimm enden können. Großartige Unternehmen schützen eine Wirtschaft nicht vor schlechten makroökonomischen Ergebnissen. Man kann technologische Inseln der Exzellenz haben, aber nur gut vernetzte technologische Ökosysteme, die den Nutzen in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft verbreiten, unterstützen die Widerstandsfähigkeit und das nachhaltige Wachstum.

Zwar sind Chinas Probleme nicht genau die gleichen wie damals die Japans. Chinas Schulden sind stärker verteilt auf Immobilien, lokale Regierungen und staatliche Unternehmen. Die chinesische Regierung wird auch die Banken des Landes nicht in Konkurs gehen lassen. Die Grundstückspreise sind nicht in die gleichen absurden Höhen geschossen. Insgesamt hat Chinas Ein-Parteienstaat mehr direkte Kontrolle und politische Hebel, um das schlimmste Chaos zu verhindern.

Aber das Japan der 1980er Jahre und das heutige China fahren durchaus vergleichbare wirtschaftliche Entwicklungsmodelle, basierend auf einem hohen Spar- und Investitionsniveau. 

Beide sind merkantilistisch, mit einem starken Fokus auf Exporte und Industrie, während Löhne und Konsum die zweite oder dritte Geige spielen. Beide haben sich zu stark verschuldet und es zugelassen, dass Immobilienblasen, Überinvestitionen und Fehlallokationen von Kapital zu Problemen führten. Japans verknöcherte Regierung hat 20 Jahre lang keine angemessene Wirtschaftsreform in Angriff genommen, Chinas Leninisten werden es vielleicht gar nicht erst versuchen.
Auf letzteres würde ich mich allerdings nicht verlassen. Der Artikel nennt noch drei weitere wesentliche Probleme, vor denen Chinas Wirtschaft stehen wird – Bevölkerung, Immobilien und Governance.

China steht vor einem langfristigen, besonders dramatischen Bevölkerungsrückgang. Im Jahr 2022 fiel die Geburtenrate auf knapp unter 1,1 Kinder, etwa die Hälfte der Rate, die zur Stabilisierung der Gesamtbevölkerung erforderlich ist. Laut der Statistik der Vereinten Nationen
könnte Chinas Bevölkerung bis zum Ende des Jahrhunderts unter 800 Mio. gefallen sein, auf etwa die Hälfte der für Indien prognostizierten. Lange davor, bis 2040 oder 2050, wird China ein deutlich älteres Land sein als die Vereinigten Staaten.

Eine schnelle Alterung und eine schrumpfende Bevölkerung wird Chinas wirtschaftliches Potenzial und Leistung beeinträchtigen. Sie gefährdet die Bereitstellung von Waren oder Dienstleistungen und natürlich das sowieso schon problematische Sozialsystem. China ist also trotz seines bisherigen Wachstums in Gefahr, "zu alt zu werden, bevor es reich wird".

Ähnlich unklar ist, wie das Problem der Immobilienblase gelöst werden soll und kann. Die SZ schrieb jüngst: "In China sind mehr Wohnungen gebaut worden, als es Einwohner gibt." Chinesische Beamte haben natürlich versucht, den Markt zu stabilisieren oder sogar zu beleben. Aber der Druck durch das Überangebot an Immobilien ist gewaltig. Aufgrund des Rückgangs der Bevölkerung wird dieser Druck wahrscheinlich auch nicht nachlassen.
Hier nähern wir uns dem Problem der innerpolitischen Governance, der innenpolitischen Steuerungs- und Regelungsfähigkeit durch die Regierung. Hier liegt, folgt man dem Artikel, vieles im Unklaren, im Vagen. Offenbar will sich die Partei alle Optionen offen halten – keine einengende Verfassung, keine Gewaltenteilung. So hat z.B. der Privatsektor in China zeitweise eine große Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung gespielt, 
vor allem seit den 1990er Jahren, als die staatlichen Unternehmen privatisiert, ein formelles Gesellschaftsrecht eingeführt und die Unternehmenspraxis institutionalisiert wurde. Vor genau 10 Jahren, auf dem dritten Plenum des 18. Parteikongresses, einem politischen Forum, das häufig der Wirtschaft gewidmet ist, versprach die KPCh, den Marktkräften und dem Wettbewerb eine "entscheidende Rolle in der Wirtschaft" zu geben. Sie sollten nicht mehr nur eine ergänzende Rolle spielen, sondern eine "Säule" sein.

Aber die Rolle privater Firmen und Unternehmer in China wurde nie wirklich offiziell anerkannt. Xi hat wieder die Vorherrschaft staatlicher Unternehmen unterstrichen und damit private Firmen und Unternehmer politisch und wahrscheinlich auch wirtschaftlich zurückgeworfen. 

Privatunternehmen spielen eine untergeordnete Rolle im Hinblick auf die ehrgeizigen industriepolitischen Ziele, die eine starke staatliche Lenkung, die Kontrolle durch die KPCh und den Einsatz von weitaus mehr staatlicher finanzieller Unterstützung für staatliche Unternehmen erfordern. Private und "gemischte" Unternehmen, die in Wirklichkeit Privatunternehmen sind, an denen staatliche Unternehmen Anteile und Managementrechte erwerben, müssen sich eng an die Partei halten. Die meisten müssen Parteikomitees in oder nahe der Betriebsleitung haben. 

Wir erinnern uns an die Kampagne, die Ende 2020 gegen Jack Ma's Alibaba-Tochter "Ant Financial" gefahren wurde und die sich auf eine Reihe von Technologie-, Daten-, Bildungs- und Online-Plattformen ausweitete. All das deutet nicht auf verlässliche politische Rahmenbedingungen für die Wirtschaft hin. Wiederholte willkürliche Bestrafung oder Inhaftierung von Geschäftsleuten erzeugen zwangsläufig ein schlechtes Geschäftsklima, auch für ausländische Investoren.

Womit wir bei den außenpolitischen Herausforderungen wären, die der Artikel ebenfalls genauer betrachtet und die natürlich so oder so mit den internen Problemen korrespondieren. Es wird nicht behauptet, wir wüssten, wie sich all dies auf das Verhalten der KPCh in den vielen umstrittenen Gebieten im Südchinesischen Meer oder in Bezug auf Taiwan auswirken wird. Aber,
perverserweise könnten die innenpolitischen Herausforderungen Xis China dazu veranlassen, die "historische Chance", wie Xi sie sieht, stärker zu nutzen, um die Länder von den Bündnissystemen und Sicherheitsschirmen der USA zu lösen und sie in Chinas eigenes Regierungssystem und seine Werte einzubinden.

Bereits früher hat China dies mit anderen Methoden, wie durch die „Belt and Road Initiative" (BRI) und in der BRICS-Ländergruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – ab Januar 2024 auch Ägypten, Argentinien, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) versucht. Die Blütezeit der BRI endete, so der Autor, etwa 2017, als Länder, die sich Geld von chinesischen Banken geliehen hatten, mit der Rückzahlung ihrer Schulden zu kämpfen hatten, auf Abstand gingen.  Aber die Brics-Gruppe bleibt für China wahrscheinlich eine viel nützlichere und einfachere globale Governance-Einheit als etwa die G20, da unter dem Einfluss der USA steht. 

Obwohl die Brics-Länder aus einer sehr heterogenen Gruppe von Ländern bestehen, teilen sie zumindest ein gewisses Maß an Opposition gegen die USA und das vom US-Dollar dominierte Finanzsystem, mit dem Washington Sanktionen verhängen kann. 

Und seit 2021 hat China drei weitere Initiativen in den Bereichen globale Sicherheit, globale Entwicklung und globale Zivilisation auf den Weg gebracht. Es geht dabei um Souveränität und territoriale Integrität, Globalisierung, Ernährungssicherheit, Industriepolitik und geringe Kohlenstoffemissionen sowie "Menschenrechte", Kultur- und Bildungsaustausch bzw. Werte – so wie China dies versteht. 

Im September veröffentlichte das Außenministerium einen ausführlichen "Vorschlag der Volksrepublik China zur Reform und Entwicklung der Global Governance", der diese drei Initiativen aufgreift und sie um Pläne für Wissenschaft und Technologie sowie für die UNO, ihre Organisationen und andere globale Gremien erweitert. Die Sprache ist farbenfroh und scheinbar inklusiv, aber in Wirklichkeit sollen die Nationen dazu ermutigt werden, sich Chinas Modell des "subventionierten Kapitalismus" anzuschließen, seine Technologie- und Geschäftsstandards und -protokolle (und nicht die des Westens) zu übernehmen und sie in ein neues, auf China zentriertes Regierungssystem einzubinden.

So weit, so legitim. Wir können nicht wissen, ob es bei solchen erst mal friedlichen Vorstößen bleibt. China beobachtet sicher genau, wie sich der Krieg in der Ukraine oder der Palästina-Konflikt weiter entwickelt, wie geschlossen und konsequent sich der Westen weiter verhalten wird. Gerade letzteres sehe ich skeptisch. Wir wissen eben auch nicht, wie es innenpolitisch in China weitergeht. Aber die Gefahr, das dieses Land, diese Führung, versucht, die Unfähigkeit ihre Probleme zu lösen, durch Aggressivität nach außen, etwa gegen Taiwan, zu kaschieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Also, genau hinschauen und vorbereitet sein.

"Peak China" - Weltmacht auf dem Höhepunkt oder vor der Stagnation?

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Kommentare 3
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 11 Monaten

    Kleiner Ergänzung: "China will Weltpolitik gestalten. Doch mit seinen Interventionen, den militärischen ebenso wie den diplomatischen, hat das Reich der Mitte kein Glück. Im Nahen Osten und in Entwicklungs- und Schwellenländern drohen neue Blamagen."

    https://www.nzz.ch/feu...

  2. Werner Leuwer
    Werner Leuwer · vor 12 Monaten

    Sehr geehrter Herr Wahl, ich habe mit Interesse Ihren Artikel gelesen. Besonders die Ausführungen über die Wirtschaftentwicklung in Japan in den 70er Jahren. Damals habe ich in manchen Gesprächen mit Menschen aus der Wirtschaft und technichen Bereichen darauf hingewiesen, dass man nicht nur die wirtschaftliche Seite betrachten kann. In den Weltspiegelsendungen der ARD wurde z.B. über die vielfältigen Probleme der japanischen Gesellschaft berichtet. Ich glaube das nur offene Gesellschaften, wie wir sie insbesondere in Europa haben in der Lage sind permanente Korrekturen in Wirtschaft und Gesellschaft vornehmen können. Ich fühle mich besonders im Hinblick auf die Entwicklung von Japan bestätigt.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      Ja, im Grunde sehe ich das auch so. Aber auch offene, demokratische Gesellschaften können Fehler machen und sich zu sicher fühlen. Das wäre meine Befürchtung.

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