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Volk und Wirtschaft

Über die zerplatzten Illusionen des ökoemanzipatorischen Projektes

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 19.04.2024
Soziopolis bringt einen instruktiven Auszug aus dem Buch von Ingolfur Blühdorn"Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne" sowie eine Rezension dazu.
Zur Einstimmung auf den Buchausschnitt schreibt Soziopolis:
„Ja, mach nur einen Plan / Sei nur ein großes Licht / Und mach dann noch ’nen zweiten Plan / Gehn tun sie beide nicht.“ Diese bekannte Strophe aus Bertolt Brechts „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ beschreibt gewissermaßen in a nutshell die dilemmatische Zeitdiagnose, von der Ingolfur Blühdorns Buch „Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ seinen Ausgang nimmt. Dieser Diagnose zufolge befinden sich nicht nur die westlichen Gesellschaften gegenwärtig in einer tiefen, ihre politische Freiheit und ihren wirtschaftlichen Wohlstand bedrohenden Krise, sondern auch die ökoemanzipatorischen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die Ende der Siebzigerjahre angetreten waren, um diese Gesellschaften zu transformieren. 
Die Frage, warum die emanzipatorischen großen Utopien des letzten Jahrhunderts in der geplanten Umsetzung dann so gründlich schief gingen und warum auch die sozialökologische Wende nicht gelingen will, treibt ja viele engagierte Menschen um. Was stimmt einerseits an den zu Grunde liegenden Theorien nicht und warum halten dann so viele Aktive an schon überholten theoretischen Mythen fest?

Natürlich war und ist auch die sozioökologische Transformation (SÖT) nicht durch eine einheitliche Bewegung getragen, sondern ist, wie Blühdorn in seinem Buch schreibt,  eher "eine sozialwissenschaftliche Abstraktion, ein regulatives Ideal". Die verschiedenen Strömungen in dem ökoemanzipatorische Projekt (ÖEP) werden durch verschiedene konstitutive Elemente und Strategien charakterisiert.
Einige Strömungen verfolgten radikale, fundamentalistische und revolutionäre Strategien, andere setzten eher auf reformerische Ansätze und eine Politik der kleinen Schritte. Aber das Leitbild, das Bekenntnis, war allemal der ökologische und soziale Umbau der Gesamtgesellschaft, der letztlich ein gutes Leben für alle in einer ökologisch intakten Umwelt sichern sollte. Das Ziel war eine demokratisch verhandelte, kontrollierte, verantwortliche Transformation, keine durch Katastrophen und Notstände erzwungene; eine Transformation durch Design, nicht durch Desaster.  (Ingolfur Blühdorn: "Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne; E-Book, Position 660 von 1118)
Auch wenn wir wissen, dass die existierende Ordnung ökologisch und sozial nicht nachhaltig ist, dass ein »Weiter so« nicht funktionieren kann, die gegenwärtige Weltordnung tatsächlich unhaltbar geworden ist:
Der Glaube und die Hoffnung, dass sich die neue, transformierte, sozial, militärisch und ökologisch befriedete (Welt-)Gesellschaft tatsächlich verwirklichen lassen wird, sind ins Wanken geraten. Mehr noch: Zentrale Werte wie Demokratie, Gleichheit oder universelle Rechte stehen selbst zur Diskussion. (E-Book, ebda)
Es schwindet der Glaube, das Ökologie- und Klimathema könne die gesamte Menschheit zu einer kollektiv handelnden Gemeinschaft wandeln. Hatten doch gerade die Ökobewegungen
stets geglaubt und gehofft, auch eine pluralisierte, differenzierte und multikulturelle Welt werde – und müsse – in globalen Risiken und Bedrohungen wie dem Klimawandel einen gemeinsamen normativen Bezugspunkt erkennen, zu einer gemeinsamen globalen Vernunft finden und zu einer Risikogemeinschaft verschmelzen.

Ähnlich erweist sich auch die Hoffnung auf eine kollektive vernunft- und moralgeleitete Selbstbegrenzung mit dem Ziel des »guten Lebens für alle« als illusorisch. Weil auch die allseitig informierten, urteilsfähigen, mündigen und verantwortlichen Bürgerinnen und Bürger nicht wirklich existieren, um in  zivilgesellschaftlicher Kooperation das gute Leben für alle zu organisieren. Die real existierenden Menschen passen offensichtlich mehrheitlich nicht zu den Gesellschaftskonzepten.  

Ebenso erweist sich die Überzeugung als unhaltbar, dass mehr Demokratie unbedingt zu mehr Nachhaltigkeit führe. In der Annahme, die Zivilgesellschaft und insbesondere sie selbst würden das wahrhaft Vernünftige vertreten, hatten die Bewegungen immer fest daran geglaubt, dass eine Ausweitung der Möglichkeiten zur politischen Partizipation und insgesamt eine Demokratisierung der Demokratie der aussichtsreichste Weg zu einer umfassenden Nachhaltigkeitswende seien. 

Was wir beobachten ist aber eher, dass die demokratische Teilhabe Druck auf die politischen Eliten aufbaut, die Externalisierung sozialer und ökologischer Kosten des etablierten Energie- und Industriesystems fortzuführen. Oder auch aussichtsreiche Technologien wie Kernkraft oder Gentechnik zu verbieten oder zu verzögern. Zwar zeigt sich auch, dass Autokratien etc. mit begrenzten demokratischen Rechten die ökologische Nachhaltigkeit noch weniger im Blick haben.
Tatsächlich sind aber Demokratien qua Demokratien in besonderem Maße verantwortlich für die rasante Beschleunigung des Rohstoffverbrauchs und der Umweltzerstörung seit den fünfziger Jahren. Der emanzipatorische Kampf für mehr Gleichheit, Teilhabe und Selbstbestimmung ist eine wesentliche Ursache für die davonlaufende Umweltkrise. Und gerade im Strudel der aktuellen Krisen wird die Demokratie zur »gläsernen Decke« der transformativen Politik und zum wesentlichen Legitimationsinstrument für die fortgesetzte Nicht-Nachhaltigkeit.
Demokratie scheint also die Geschwindigkeit der Transformation dramatisch zu verlangsamen? Was wohl auch für den überwundenen Realsozialismus gegolten hat. Und In dem man diesem Scheitern einfach einen Namen gibt (Neoliberalismus, Kapitalismus etc.) und damit einen simplen Ursache-/Wirkungs-/Schuldzusammenhang unterstellt, erklärt man ebenfalls wenig und versteht auch die Komplexität der Entwicklung moderner Gesellschaften nicht. Wir erleben also im Zusammenprall mit der Wirklichkeit eine Mehrfachkrise unserer Selbstbilder und Narrative.
Doch genau wie in der spätmodernen Konstellation der Mythos der globalen Führungsrolle und Überlegenheit moderner westlicher Gesellschaften zusammenbricht, zerfällt innerhalb dieser Gesellschaften eben auch der Mythos von der Führungsrolle und Überlegenheit der Pioniere des ÖEP.
Wir stehen also in der Tat vor einer Wende oder zumindest vor einer Erkenntnis, in der wir mit Formeln wie »Ende oder Wende!«, »Weiter so ist keine Option« oder »Wir stehen am Abgrund« nicht weiterkommen. Wie Blühdorn in seinem Buch schreibt (E-Book, Position 512):
Es ist nicht die Wende, die Erhard Eppler sich einst vorgestellt hatte,  und auch nicht das, was in sozialwissenschaftlichen und Bewegungskreisen heute als »sozialökologische Transformation« firmiert. Auch ein Ende ist deutlich erkennbar. Aber es ist nicht der Untergang der Menschheit oder die Unbewohnbarkeit des Planeten, vor denen Aktivistinnen und Aktivisten seit Jahrzehnten warnen. Beides sind mögliche Szenarien, aber beides scheint nicht unmittelbar akut. Beendet scheint vielmehr die Konjunktur des ökoemanzipatorischen Projekts und des Glaubens an die von Eppler einst beschworene Machbarkeit des Notwendigen.
Was folgt möglicherweise daraus für den weiteren Weg? Peter Wagner interpretiert (und zitiert) in seiner o.g. Rezension "Zeitenwende, einmal anders" Blühdorn wie folgt:
Die Erfahrungen, die mit der ökologischen Wende, der Demokratisierung der Demokratie und der Ausweitung individueller Freiheit gemacht wurden, ziehen Einsichten nach sich, die zum Umdenken bewegen. „[D]ie Selbstbeschreibung und das Selbstverständnis moderner Gesellschaften als liberaler, demokratischer, gerechter, inklusiver, ökologischer und weltgesellschaftlich orientierter offener Gesellschaften“ sind dabei, „nachjustiert“ zu werden (S. 111), weil die Nebenfolgen des Erfolgs zu bearbeiten sind. 

Dabei warnt Blühdorn lt. Wagner vor der Hoffnung,

dass die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus zu dessen Überwindung führen können. Es ist seines Erachtens plausibler, anzunehmen, der Erhalt des westlichen Kapitalismus mit seiner auf Wohlstand und Sicherheit basierenden Lebensform führe zu einer Anpassung der grundlegenden Werte – „aus freier Entscheidung und im Namen der Sicherung und Verteidigung ihres eigenen Wohlstands“ (S. 156). Dies kennzeichnet den gegenwärtigen Übergang von der zweiten in die dritte Moderne: „Emanzipatorische Bemühungen um Ökologisierung, mehr Selbstbestimmung und mehr Demokratie bewirken stabilisierte Nicht-Nachhaltigkeit, die Verabschiedung des autonomen Subjekts und die Dysfunktionalität der Demokratie.“ (S. 330)

Das würde vermutlich bedeuten, das die sich entwickelnde zukünftige Gesellschaft

„nicht nur weiterhin kapitalistisch und gemessen an hergebrachten Nachhaltigkeitsnormen weiterhin nicht-nachhaltig sein wird, sondern drittens auch autokratisch-autoritär – und zwar nicht nur, weil das von außen erzwungen würde, sondern ebenso, weil sich von innen ein entsprechendes Verlangen herausbildet.“ (S. 136)

Das wird vielen von uns nicht gefallen. Aber vielleicht hat Blühdorn recht, wir sollten den Übergang von der zweiten in die dritte Moderne als Unterminierung des Bestehenden und nicht direkt als Scheitern, als Ende der Menschheit verstehen. Die Zukunft ist offen und nicht das Ende der Welt ….


Über die zerplatzten Illusionen des ökoemanzipatorischen Projektes

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Kommentare 1
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 7 Monaten

    Hier eine Aufzählung von konstitutiven Elementen des ökoemanzipatorischen Projekts aus Blühdorn's Buch:
    Kritik an Beherrschung, Unterdrückung, Ausbeutung, Instrumentalisierung und Versklavung des Menschen und der Natur;
    Forderung nach Selbstbestimmung, Befreiung von Herrschaft, Entfaltung der Eigenständigkeit und Autonomie des Menschen und der Natur;
    Garantie der unantastbaren Würde, universeller Rechte, der Autonomie, des dem Menschen und der Natur zuerkannten Status als autonomes Subjekt;
    Überlegenheit von Vielfalt und Verschiedenheit gegenüber Normierung und Standardisierung;
    Glaube an moralische Freiheit und Verantwortlichkeit;
    Vertrauen auf Rationalität und Vernunft;
    Glaube an unverhandelbare ökologische Imperative, ökologische Vernunft und Verantwortung;
    Glaube an die Gestaltbarkeit der Gesellschaft und Welt, an kollektive Steuerungsfähigkeit;
    Vertrauen in zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und demokratische Selbstregierung;
    Anspruch auf bürgerschaftliche Mündigkeit und die Fähigkeit zu kollektiver Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen;
    Langfristigkeit und Vorsorge als Gestaltungsprinzipien;
    Aufklärung, Information, Bildung als wesentliche Mittel zur Beförderung der ökologischen Mündigkeit und Verantwortlichkeit;
    Ausweitung demokratischer Partizipation als Mittel einer in diesem Sinne progressiven Politik;
    Selbstverständnis als Avantgarde einer ökologisch, militärisch und sozial befriedeten neuen Gesellschaft;
    weltgesellschaftlicher Horizont und kosmopolitische Perspektive.

    E-Book, Position 660

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