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Zeit und Geschichte

"Für einen linken Populismus" (Chantal Mouffe)

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDonnerstag, 13.09.2018

Das Bestehende geißelt den Populismus. In einem ungemein anregenden Gespräch pendelt Chantal Mouffe zwischen Gedankenflügen und erdigen Beispielen. So erläutert sie das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit.

Im Europa des 19. Jahrhunderts haben Liberale und Demokraten zwar gemeinsame Kämpfe ausgetragen, da sie beide den überkommenen Absolutismus als Gegner hatten. Aber diese Allianz war an den spezifischen Kontext gebunden, sie stellt keine Gesetzmässigkeit dar. Deshalb ist auch nicht richtig, wenn gesagt wird: Länder, die sich demokratisieren wollen, müssen notwendigerweise den Weg der pluralistischen liberalen Demokratie gehen, so wie sie im Westen bestimmend ist. Wenn es darum gehen soll, dass sie sich demokratisieren, kann dies auch geschehen, ohne dass sie sich den Werten des politischen Liberalismus verpflichten.

In Folge der Finanzkrise, die vor 10 Jahren begann und eine Übergangszeit einläutete, stehen wir vor einer Wegscheide:

Entweder wird der Rechtspopulismus die demokratische Dynamik für sich nutzen, um die Demokratie zu begrenzen und ein autoritäres Gesellschaftsmodell durchzusetzen, oder der Linkspopulismus kann den demokratischen Impuls fruchtbar machen, um die Demokratie zu vertiefen und die politische Gleichheit zu verstärken.

Die Überschrift ist Titel einer Schrift, die gerade auf Deutsch erschien. Darin erläutert Chantal Mouffe die Aufgabe eines Linkspopulismus,

die zahlreichen Bewegungen zu verketten und einen kollektiven Willen zu schaffen.

Bei aller Gedankenschärfe weiß sie von der Macht der Gefühle:

Es herrscht die Meinung vor, dass die Linke nur mit Argumenten kämpfen darf, während der Appell an Emotionen der Rechten überlassen wird. Das halte ich für einen fatalen Fehler, denn letztlich werden die Leute immer von Affekten mobilisiert und nicht von Argumenten.

Die Themen- und Gedankenfülle dieses Interviews lässt sich in einem piq nicht umreißen, besonders anregend fand ich, was die Linke von der Eisernen Lady Thatcher lernen kann.

"Für einen linken Populismus" (Chantal Mouffe)

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Kommentare 9
  1. Dorothea Menges
    Dorothea Menges · vor 6 Jahren

    @Wallwitz & @Engelberg :
    "Jede große Idee, sobald sie in Erscheinung tritt, wirkt tyrannisch; daher die Vorteile, die sie hervorbringt, sich allzu bald in Nachteile verwandeln. Man kann deshalb eine jede Institution verteidigen und rühmen, wenn man an ihre Anfänge erinnert und darzutun weiß, dass alles, was von ihr im Anfange gegolten, auch jetzt noch gelte." Goethe

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      Danke für das Zitat. Neben Shakespeare stimme ich Goethe meistens zu - in diesem Fall bestimmt.

  2. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor 6 Jahren

    Leider hat der Populismus links wie rechts die Tendenz ins Autoritäre abzugleiten. Ich brauche daher weder den einen noch den anderen.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      Die Gefahr besteht, aber nicht nur beim Populismus.
      Die Frage ist nicht, ob Du ihn brauchst, es gibt ihn verstärkt, sondern was tun?
      Und in dieser Richtung, ich las das Interview mit Misstrauen, ist es für mich das Beste, was ich kenne.
      Kennst Du einen fundierteren Beitrag?

    2. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor 6 Jahren

      @Achim Engelberg Das ehrt mich natürlich, dass Du mich nach besseren Beiträgen fragst. Du überschätzt meine Möglichkeiten als Dilettant in der politischen Theorie bei weitem! Und ich bin zwar kein Anhänger der neuen Mode, für alles ein Ranking zu entwerfen, aber als Leser von Kant weiß ich natürlich auch, dass man sich Moden nicht gänzlich entziehen kann. :-)
      Also ich habe den Beitrag mit großem Interesse gelesen, es steckt viel Bedenkenswertes drin. Ich halte das für einen guten Piq. Aber am Ende wusste ich dennoch nicht, was der Linkspopulismus konkret bedeuten soll. Ich könnte Dir einige Aspekte nennen, wie etwa, dass die Linken einen Führer brauchen (im Text etwas schamhaft "Leader" genannt), dass Nationalismus und Sozialismus sich näherkommen sollen, dass Arbeiterschaft, Feministen und LGBT-Bewegte sich verbinden sollen. Aber wie das aussehen soll, weiß ich nach der Lektüre nicht.
      Und um wirklich großartig zu sein, hat der Text zu viele Plattitüden. Etwa diese hier: "Der neoliberale Konkurrenzgedanke durchdringt heute restlos alle Lebensbereiche." Da wird ein hohles Schlagwort auf einen Sachverhalt gelegt, der schlicht falsch ist.
      Meine Lektüreempfehlung zum Thema Populismus? Wie gesagt, ich habe keine Ahnung. Aber ich vermute, dass die Sachen, die ich über das Thema bei Thukydides, Tocqueville und in den Federalist Papers dazu gelesen habe, noch ein ganzes Stück tiefsinniger sind.

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      @Georg Wallwitz Thukydides neu zu lesen oder diese Interpretation zu studieren, wurde mir auch von anderer Seite empfohlen:
      https://www.perlentauc...
      Ich lieh mir das Buch aus, aber las es noch nicht.

      Das Leader nicht als Führer übersetzt wird, kann ich verstehen: Immerhin ist Chantal Mouffe eine belgisch-stämmige in London lehrende und englisch schreibende Autorin. Ihr Interview erschien in der Schweiz.

      Wenn ich eine Kritik vorbringen sollte: Unglücklich finde ich manche Wortbildungen mit post-. Was heißt Postmarxismus konkret?

    4. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor 6 Jahren

      @Achim Engelberg beim präfix "post-" fällt mir regelmäßig ein, daß eine sehr gebildete theologin mir einmal die "postgotik" so erklärte, daß der name auf die vielen bahnhöfe und postämter zurückginge, die in diesem historisierenden baustil im ausgehenden 19. jahrhundert errichtet wurden. und dann fügte sie hinzu, daß das beim postmarxismus nicht viel anders sei.

    5. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor 6 Jahren

      @Achim Engelberg Hier habe ich noch etwas hübsches zum Thema gefunden:
      https://www.project-sy...

    6. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      @Georg Wallwitz Die Diskussion geht weiter - auch hierzulande:
      https://www.taz.de/!55...

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