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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Es steht ein Haus in Moskau: Wer es befragt, dem kann es die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Sowjetunion erzählen, aber auch die von Russland heute.
Der zu früh verstorbene Juri Trifonow (1925–1981) lebte hier, bis sein Vater in die Mühlen des stalinschen Terrors geriet. Unter seinen noch lesenswerten Werken ist der Roman "Das Haus an der Uferstraße".
In diesem Haus habe ich einmal gewohnt. Nein, dieses Haus ist längst gestorben und verschwunden, ich habe in einem anderen gewohnt, aber in diesen gewaltigen dunkelgrauen Betonmauern, die wie eine Festung sind. Das Haus überragte die zweigeschossigen Häuser, kleinen Villen, Kirchen, Glockentürme, alten Fabriken, Uferstraßen mit Granitbrüstung, und an beiden Seiten floss die Moskwa vorbei. Es stand auf einer Insel, war wie ein schwerfälliges, aberwitziges Schiff ohne Masten, Schornsteine und Steuerrad, ein riesiger Kasten, eine mit Menschen vollgestopfte Arche, bereit, davonzuschwimmen. Wohin? Niemand wusste das, niemand hatte eine Ahnung. Den Leuten, die auf der Straße an den Mauern vorbeigingen, in denen Hunderte von winzigen Zitadellenfenstern leuchteten, erschien das Haus unerschütterlich und ewig wie ein Feld: nach dreißig Jahren hat sich das Dunkelgrau der Mauern nicht verändert.
Yuri Slezkine, Historiker in Berkeley, erzählt in "Das Haus der Regierung" darüber und meint hier zu dieser Metapher aus Beton:
Die Sowjetunion war eine belagerte Festung innerhalb einer bourgeoisen Welt, das Haus der Regierung war eine belagerte Festung innerhalb der Sowjetunion, und jede einzelne Wohnung eine innerhalb des Hauses. Jeder Bolschewik war in seinen eigenen vier Wänden belagert.
Nach dem Ende der Sowjetunion wurde das gegenüber dem Kreml gelegene Gebäude zur begehrten Immobilie. Nach den Funktionären kamen die Oligarchen. Luxussanierungen waren an der Tagesordnung.
Die Osteuropa-Historikerin Monica Rüthers bemerkt dazu:
Wieder kam es zu Vertreibungen, nur unter anderem Vorzeichen. Und wieder leben hier die Privilegierten.
Quelle: Juri Trifonow, Yuri Slezkine u. a. Bild: Wikipedia/ Ludvig... dekoder.org
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