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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Es geschah genau um 15.00 Uhr am 1. Oktober 1949: Mao Zedong rief die Volksrepublik China aus.
Ein welthistorisches Ereignis von anhaltender Wirkung. 75 Jahre später hängt sein überlebensgroßes Porträt über dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, wo es schon ein Massaker gab.
Um die Tragweite zu ermessen, eine Rückblende: China erwachte 1949 aus einem Jahrhundert der Demütigungen, wie es Klaus Mühlhahn in diesem Beitrag darlegt.
Die gesteigerte Rivalität der europäischen Großmächte im Kampf um Einflusssphären und Stützpunkte in Asien brachte China ab 1840 auf die Bühne der europäischen Machtpolitik. Die gewaltsame Öffnung durch die Opiumkriege (1840 und 1860), die Etablierung fremdbestimmter Einflusssphären in wohlhabenden chinesischen Provinzen, das Abtreten kolonialer Stützpunkte (Hongkong, Qingdao, Port Arthur) und exterritorialer ausländischer Niederlassungen (Shanghai, Hankou, Tianjin) wurden gegen chinesischen Widerstand und unter Gewaltanwendung durchgesetzt. Sie offenbarten eine grundlegende Schwäche des Qing-Reiches (1644-1911).
Diese Ereignisse gehören zu einer in China als „Jahrhundert der nationalen Demütigung“ (bainian guochi, 百年国耻) bekannten Ära von 1839 bis 1949, eine Zeit voller unerbittlicher Kriege, Besetzungen und Revolten in der Geschichte des Landes.
Dieses Jahrhundert endete in der Gründung der Volksrepublik vor genau 75 Jahren.
In einer - trotz einiger Klischees - sehenswerten dreiteiligen Dokumentation in der arte Mediathek, dem Hauptstück dieses Picks, erzählen Paul Wiederhold und Annette Baumeister das Leben und Wirken von Mao Zedong (1893-1976), das widersprüchlicher kaum sein könnte.
Er weckte das Riesenland aus dem Jahrhundert der Demütigungen, verursachte aber auch immer wieder Katastrophen wie die größte Hungersnot der Weltgeschichte. Bezeichnend sein berühmter Ausspruch, den Slavoj Žižek für ein Buch nutzte:
Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel; die Lage ist ausgezeichnet.Das Spannende der kurzweiligen Filmtrilogie sind die Verbindungen des alten Chinas mit dem Heute in Form von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
Die Volksrepublik China ist heute ein Global Player der Weltpolitik. Das moderne China ist ohne seinen Architekten Mao Zedong undenkbar.
Mao Zedong entwickelt sich vom Bauernsohn zum Revolutionär, wird Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei und kämpft in einem Bürgerkrieg um die kommunistische Vorherrschaft in China. 1949 hat er es geschafft: Mao steht vor den Toren Pekings, bereit, die Volksrepublik auszurufen.
Einer der Experten, die im Film zu Wort und Bild kommen, ist Daniel Leese. Zum 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China gab er dieses Interview: „Für Xi Jinping ist Geschichte zentral zur Legitimation der Parteiherrschaft“.
Dabei geht er auch auf die Schattenseite des imperialen Wiederaufstiegs Chinas ein:
Ethnische Minderheiten wie die Tibeter oder die Uiguren in Xinjiang haben einen ganz eigenen Blick auf die Gründung der Volksrepublik China. Für sie begann vor 75 Jahren die Zerstörung der eigenen Kultur.
Die Kommunistische Partei sorgt seit spätestens 2008 dafür, dass sich keine unabhängigen Stimmen aus diesen beiden Regionen in irgendeiner Form artikulieren können. Das ist nicht nur Entmündigung: Es ist eine gewaltsame Unterdrückung alternativer Formen von Erinnerung und Identität. Für Xi Jinping gibt es nur noch eine gesamtchinesische Identität, die Wahrnehmungen der unterschiedlichen Ethnien finden dort keinen Platz. Alle sollen dankbar sein für die Errungenschaften der Partei. Dass viele Menschen in Tibet oder Xinjiang keine Dankbarkeit empfinden, wenn sie an die Kommunistische Partei denken, ist angesichts der langjährigen Unterdrückung mehr als verständlich.
Zum Schluss noch ein Hinweis auf einen Pick der Kollegin Emily Kossak über das alte China. Zusammen mit den Mao-Filmen ergeben die dort empfohlenen Filme einen Jahrhundertblick auf den extrem widersprüchlichen chinesischen Weg bis heute, der im 21. Jahrhundert noch so manche Wendung verspricht.
Quelle: Paul Wiederhold, Annette Baumeister u. a.; Daniel Leese Bild: arte/swr www.arte.tv
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